Kunststoffe im Dampfweg

Diskussionen über geeignete oder ungeeignete Materialien für Destillen
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derwo
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Kunststoffe im Dampfweg

Beitrag von derwo »

Ich möchte begründen, warum PTFE (Teflon) der einzige Kunststoff ist, den ich im Dampfweg der Destille für sicher halte:

Die sonst oft verwendeten Kunststoffe sind:
- Silikon: Entweder zweikomponentig aus der Tube (zB für Aquaristik) oder als fertige Dichtringe oder Platten. Manche Sorten gelten als "lebensmittelgeeignet" und finden viel Verwendung im Kontakt mit Lebensmitteln. "Platinvernetztes" Silikon hat bessere mechanische Eigenschaften, nicht bessere chemische Eigenschaften. In den folgenden pdfs werden die Silikone SI, VMQ und FVMQ erwähnt.
- EPDM: Schwarze Dichtringe sind meist aus diesem Material. Typischer Kunststoff für Dichtungen im Heißwasserbereich, da er auch bei Hitze und Feuchtigkeit sehr langlebig ist.
- NBR: Die typischen grauen Schnellkochtopfdichtungen sind meist aus diesem Material.


Nun drei Beständigkeitslisten. Keine beantwortet alle Fragen, daher mehrere:

https://bibliothek.hobbybrennen.ch/file ... 015_de.pdf
S.12 Zeilen "Ethanol 40, 50 und 96%":
-PTFE bekommt wie erwartet überall eine "1/1". Das bedeutet es ist beständig sowohl bei 20°C, als auch bei 50°C.
-EPDM bekommt 1/0. Das bedeutet, bei 50°C hat man keine Testdaten zu Verfügung.
-NBR bekommt eine 3/3. Das bedeutet, selbst bei Raumtemperatur ist es nur "eingeschränkt beständig".
-SI (Silikonkautschuk) bekommt eine 0/0, es liegen also keine Daten vor.
Im Vorlauf haben wir aber noch andere Produkte als Ethanol und Wasser. Vor allem Acetaldehyd und Ethylacetat.
S.3 Zeile Acetaldehyd 40%:
-PTFE: 1/1
-EPDM: 3/0, also bei 20°C bedingt beständig. Bei 50°C keine Daten, aber die werden ja wohl kaum besser sein.
-NBR: 4/4, also "nicht beständig".
-SI: 0/0, keine Daten.
S.12 Zeile Ethylacetat:
-PTFE: 1/1
-EPDM: 3/0, also bei 20°C bedingt beständig. Bei 50°C keine Daten, aber die werden ja wohl kaum besser sein.
-NBR: 4/4, also "nicht beständig".
-SI: 0/0, keine Daten.
Im Nachlauf haben wir vor allem Säuren. Vor allem Essigsäure.
S.12 Zeile Essigsäure 5%:
-PTFE 1/1
-EPDM 1/0
-NBR 3/3
-SI 0/0
Fazit zu dieser pdf:
NBR ist absolut ungeeignet, EPDM nicht wirklich geeignet, Silikon keine Daten, PTFE hat eine weiße Weste. Es sei aber darauf hingewiesen, daß es bei diese Tabelle nur bis 50°C geht, also um Flüssigkeiten, nicht heißem Dampf.

https://bibliothek.hobbybrennen.ch/file ... tabell.pdf
S.7 Zeile Ethanol
-PTFE beständig auch mit reinem kochenden Ethanol sogar bei 120°C
-EPDM zumindest bis 80°C beständig
-NBR bis 60°C beständig, bei 80°C nur noch bedingt beständigt
S.3 Acetaldehyd 10%
-PTFE beständig selbst bei 120°C
-EPDM immerhin bis 80°C.
-NBR nicht beständig
S.7 Ethylacetat 20%
-PTFE beständig
-EPDM bedingt beständig
-NBR nicht beständig
und S.23 vatten (Wasser)
-NBR ab 70°C nur noch bedingt beständig! Und das wird in Schnellkochtöpfen verwendet...

https://bibliothek.hobbybrennen.ch/file ... eit(1).pdf
Eine wertvolle Liste, da auch zwei verschiedene Silikone enthalten sind. Und zwei verschiedene NBR.
Zuerst kommen allgemeine Angaben:
S.8 Lösungsmittelbeständigkeit
-PTFE A (sehr gut)
-EPDM C (befriedigend)
-NBR/HNBR und die Silikone VMQ und FVMQ B (gut)
S.8 Dampfbeständigkeit
-PTFE und EPDM A
-NBR/HNBR und die VMQ/FVMQ B
Nun detaillierte Angaben:
S.10 Ethanol 80°C
-PTFE und EPDM A (geringer oder kein Angriff)
-NBR/HNBR C (starker Angriff bis vollständige Zerstörung)
-VMQ/FVMQ D (keine Daten, wahrscheinlich geeignet)
S.7 Acetaldehyd 90% mit Essigsäure 10%, 20°C
-PTFE A
-EPDM B (schwacher bis mäßiger Angriff)
-NBR/HNBR und VMQ/FVMQ C
S.10 Ethylacetat 60°C
-PTFE A
-NBR/HNBR und EPDM C
-VMQ/FVMQ E (keine Daten, wahrscheinlich nicht geeignet)
S.10 Ethanol mit Essigsäure 60°C
-PTFE und EPDM A
-NBR/HNBR C
-VMQ/FVMQ E
S.9 Dampf 130°C
-PTFE und EPDM A
-NBR/HNBR und VMQ/FVMQ C
S.15 Wasser 100°C
-PTFE, EPDM und NBR/HNBR A
-VMQ B
-FVMQ D
Fazit: Hier wird deutlich, daß Silikon ein Problem mit Dampf hat. Also eigentlich ist es für hohe Temperaturen geeignet, aber nur im trockenen Zustand, und eigentlich ist es chemisch relativ beständig, aber nur wenn die Substanzen flüssig und nicht zu heiß sind.
EPDM schneidet überraschend gut ab. Bzw zumindest deutlich besser als Silikon.
NBR/HNBR sind katastrophale Materialien für unsere Anwendungen.




Noch ein paar andere Infos:

Stiftung Warentest über Eis- und Backformen aus Silikon:
Sieben von zehn Formen fielen bei einem Test durch. Ursache sind Silikonbestandteile, die entweichen und in die Eiswürfel übergehen können.
Der Skandal ist, dass sich diese flüchtigen Bestandteile bereits bei der Herstellung von Silikonprodukten problemlos entfernen lassen. Das scheint bei dieser Produktgruppe aber häufig nicht stattzufinden.
...da man die Formen dafür länger erhitzen müsste, was aber nunmal pro Backform vielleicht 1 cent mehr kostet...


Das Produkthaftungsgesetz:
Wird durch den Fehler eines Produkts jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Hersteller des Produkts verpflichtet, dem Geschädigten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen...

Die Ersatzpflicht des Herstellers ist ausgeschlossen, wenn
.
.
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4. der Fehler darauf beruht, daß das Produkt in dem Zeitpunkt, in dem der Hersteller es in den Verkehr brachte, dazu zwingenden Rechtsvorschriften entsprochen hat, oder

5. der Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik in dem Zeitpunkt, in dem der Hersteller das Produkt in den Verkehr brachte, nicht erkannt werden konnte.
.
.
.
Für den Fehler, den Schaden und den ursächlichen Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden trägt der Geschädigte die Beweislast.

Der Kunde muss also erst einmal beweisen, daß seine gesundheitlichen Probleme direkt von dieser Silikondichtung herrühren. Also zB nicht von anderem Silikon, welches mit von ihm konsumierten Lebensmitteln in Berührung gekommen ist. Auch dann aber wäre der Händler oder Hersteller immer noch abgesichert, da er nur lebensmittelgeeignete, also den Rechtsvorschriften genügende Kunststoffe verwendet hat und da nach dem Stand der Wissenschaft zwar Silikon nicht resistent gegen Schnapsbrenndämpfe ist, eine Gesundheitsgefahr in diesem konkreten Fall (Hobbydestille) aber bisher nicht erkannt (weil nicht untersucht) wurde. Und selbst wenn, dann muss erst noch geklärt werden, wer nun Schuld ist, der Händler, der Hersteller der Destille, der Händler der Dichtung, der Hersteller des Silikons usw...



Also, konkrete Gesundheitsgefahren sind damit natürlich nicht belegt. Aber eine Unbedenklichkeit klar widerlegt.
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azeotrop
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Re: Kunststoffe im Dampfweg

Beitrag von azeotrop »

derwo

Vielen Dank für diesen "Leitfaden durch den Irrgarten" der Beständigkeitslisten.
Dass Teflon sehr beständig ist, hatte ich erwartet. Es ist gut zu wissen wo man das finden kann, wenn jemand das wissen will.
Wo ich mich schwer tue, ist die Beurteilung von "eingeschränkt beständig".
Z. B. Ethylacetat. Hier wird ja scheinbar mit 100% Ethylacetat getestet,
In unseren Anwendungen treten aber deutlich schwächere Konzentrationen auf.
Da steh ich etwas auf dem Schlauch, wie man da zu einer Einschätzung kommen kann.
Das ist aber nur ein rein theoretischen Interesse um Dinge zu verstehen.
Rein Praktisch nehme ich Teflon weil damit nahezu alle Konstruktionen irgendwie machbar sind.
Aber neugierig bin ich trotzdem.
Es grüßt Azeotrop
"Doubt not, therefore, sir, but that distilling is an art, and an art worth your learning."
(Nixon & McCaw)
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derwo
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Re: Kunststoffe im Dampfweg

Beitrag von derwo »

An einem Test mit hoher Konzentration hat man halt aber auch ein schnelles und deutliches Ergebnis. Die Beeinträchtigung ist natürlich geringer bei niedriger Konzentration.
Wie gesagt, eine Gesundheitsgefahr ist nicht bewiesen. Das liegt natürlich auch an den in den Listen verwendeten Konzentrationen. Aber zumindest sieht man deutlich, wo die Schwachstellen der Materialien liegen:
Bei Silikon ist das Hauptsächlich Dampf und eventuell (die Konzentration spielt natürlich eine Rolle) Säuren und Verbindungen mit Säuren (bei uns also vor allem Essigsäure und alles mit "Acet" im Namen (Ethylacetat und Acetaldehyd) und andere Ester.
Bei EPDM ist es die allgemein etwas schlechte Lösungsmittelbeständigkeit und wie bei Silikon die Säureverbindungen. Dafür hat es aber eine gute Dampfbeständigkeit. Weswegen ich EPDM Silikon vorziehen würde.
Über NBR brauchen wir glaub ich nicht diskutieren.
Realistische Tests wird es halt glaub ich nicht geben. Wie soll das auch gehen? Man brennt mit zwei identischen Destillen, eine mit PTFE-Dichtungen und eine mit Silikon. Und dann braucht man 2000 Leute. 1000 trinken jeden Tag ein Stamperl von der einen Destille, 1000 von der anderen. Und dann nach 20 Jahren schaut man sich den Gesundheitszustand an?