Stechender Geruch im Vorlauf

Praxis und Theorie der Destillation. Sowohl Fragen zu und Berichte von Destillationen als auch theoretische Erklärungen und Überlegungen
Benutzeravatar
Alk52
Beiträge: 807
Registriert: 17. Jun 2019, 13:42

Stechender Geruch im Vorlauf

Beitrag von Alk52 »

Im Vorlauf eines Rum-Raubrandes habe ich einen extrem stechenden Geruch. Ich kann ihn nicht einordnen, aber er schläg durch bis unter die Schädeldecke - das Gefühl ist vergleichbar mit einem Löffel voll schärfstem Merretich.
Nichts ist ohne Grund.
Benutzeravatar
derwo
Beiträge: 3415
Registriert: 20. Okt 2018, 21:35

Re: Stechender Geruch im Vorlauf

Beitrag von derwo »

Ich kenne das Stechen sehr gut.
Vorlauf besteht vor allem aus Ethylacetat und Acetaldehyd. Ethylacetat kenne ich vom Geruch her, da ich es schonmal selbst hergestellt habe. Das ist meinem Geruchssinn nach mit Uhu vergleichbar. Das Stechen ist was anderes. Deswegen tippe ich auf Acetaldehyd. Das soll vom Geruch her heller sein. Ich glaube auch, daß Acetaldehy das ist, was in höheren Konzentrationen, also mit Rektifizierung, einem von der Art her ähnlich wie CS-Gas den Atem nehmen kann.
Benutzeravatar
Alk52
Beiträge: 807
Registriert: 17. Jun 2019, 13:42

Re: Stechender Geruch im Vorlauf

Beitrag von Alk52 »

Ethylacetat ist es primär nicht, bei anderen Produkten erkenne ich es eindeutig.
Wenn es denn Acetaldehyd ist, was ist falsch gelaufen?
Ich habe den Rum nach dem Rum-2019-Rezept angesetzt. Versäumt habe ich den Ph-Puffer mit Calciumhydroxid. Die ausgegorene Maische hat ca. 2 Wochen bei 20-30°C im Gewächshaus gelagert und eigntlich gerochen wie immer.
Den stechenden Geruch finde ich im Raubrand, ohne Rektifikation, verdünnt immer noch wieder.
Ich fürchte, es in den Mittel- / Feinbrand zu verschleppen, aber wie werde ich das Zeug wieder los?
Offen stehen lassen, belüften... es wäre schade 2x56l Maische zu Neutralem brennen zu müssen.
Nichts ist ohne Grund.
Benutzeravatar
derwo
Beiträge: 3415
Registriert: 20. Okt 2018, 21:35

Re: Stechender Geruch im Vorlauf

Beitrag von derwo »

Hast du nur das Maischerezept so wie ich 2019 gemacht oder auch den Raubrand, also mit Schwefelsäurezugabe ganz am Ende? Wenn ja, beschreibe bitte genauer, was du gemacht hast. Und hast du auch eine niedrigprozentige Nebenmaische gemacht?

Ich bin mir nicht sicher, ob was falschgelaufen ist. Normalerweise dürfen Raubrände ja Fehler haben. Und die erste Fraktion vom Raubrand natürlich erst recht. Und wenn sich dieses Aroma beim Raubrand im Vorlauf konzentriert, müsste es doch klappen, ihn beim Feinbrand dann loszuwerden? Vor allem, wenn man wie du auch Reflux einsetzen kann.

Zwei Wochen bei 20-30°C mit wahrscheinlich niedrigem pH (keine Pufferzugabe), das klingt in meinen Ohren nicht nach irgendwas, wo groß was anderes als die Hefe arbeiten könnte.
Sonst würde ich schreiben, daß eine sehr bakterienfreundliche Gärung natürlich nicht nur gutes produziert und man halt dann bei der Brennprozedur darauf achten muss, möglichst viel vom schlechten loszuwerden und möglichst viel vom guten zu behalten. Und ich würde dich fragen, ob du denn weißt, auf was du dich einlässt. Also weißt du, wie ein Rum schmeckt, der eine solche Gärung durchlaufen hat?

Ich habe leider keinen Überblick, was du schon alles gebrannt hast. Ich kenne dich ja vor allem von deinen experimentellen Bränden. Deswegen habe ich den Verdacht, daß eigentlich alles in Ordnung ist. Gegärt hat die Maische ja ganz normal, oder? Ist die Alkoholausbeute in Ordnung?
Benutzeravatar
Alk52
Beiträge: 807
Registriert: 17. Jun 2019, 13:42

Re: Stechender Geruch im Vorlauf

Beitrag von Alk52 »

derwo hat geschrieben: 25. Jul 2021, 14:22 Hast du nur das Maischerezept so wie ich 2019 gemacht oder auch den Raubrand, also mit Schwefelsäurezugabe ganz am Ende?
Nur das Rezept (inkl. 2 Eiern), da ich versäumt hatte zu puffern, habe ich auch keine Schwefelsäure am Ende zugegeben.
derwo hat geschrieben: 25. Jul 2021, 14:22 Zwei Wochen bei 20-30°C mit wahrscheinlich niedrigem pH (keine Pufferzugabe), das klingt in meinen Ohren nicht nach irgendwas, wo groß was anderes als die Hefe arbeiten könnte.
Bei meinem Rum@ 40°C//32°C war die Lagerzeit länger, also hier hätte ich die Ursache auch nicht gesucht.
derwo hat geschrieben: 25. Jul 2021, 14:22 Und ich würde dich fragen, ob du denn weißt, auf was du dich einlässt. Also weißt du, wie ein Rum schmeckt, der eine solche Gärung durchlaufen hat?

Ich habe leider keinen Überblick, was du schon alles gebrannt hast. Ich kenne dich ja vor allem von deinen experimentellen Bränden. Deswegen habe ich den Verdacht, daß eigentlich alles in Ordnung ist. Gegärt hat die Maische ja ganz normal, oder? Ist die Alkoholausbeute in Ordnung?
Meinen ersten Rum habe ich nach "Pudgy (HD)" gebrannt, dann die zwei o.g. zitierten warm gegorenen und gelagerten Rum. Beide sind i.O. und meiner Meinung nach deutlich besser als viele "Handelsübliche".
Oder sollte er nach 3 Jahren mit Eiche gelagert; ähnlich schmecken wie ein teurer SIngle-Malt.
Nichts ist ohne Grund.
Benutzeravatar
derwo
Beiträge: 3415
Registriert: 20. Okt 2018, 21:35

Re: Stechender Geruch im Vorlauf

Beitrag von derwo »

"Meerrettich" klingt eher nach Essigsäure. Zu lange offen gelagerter Wein wird oft mit Meerretticharoma beschrieben.
Aber das kann ich mir nicht vorstellen bei der kurzen Gärzeit. Zumindest, wenn die Gärung gut war. Deswegen meine Frage, ob die Alkoholausbeute passt. Also wie viel Alkohol hast du rechnerisch und wie viel Alkohol ist es dann im Raubrand gewesen?
Alk52 hat geschrieben: 25. Jul 2021, 15:06 Oder sollte er nach 3 Jahren mit Eiche gelagert; ähnlich schmecken wie ein teurer SIngle-Malt.
Das verstehe ich nicht. Du meinst deine alten Rums? Sind die denn holzgelagert? Oder meinst du, die Zeit wird es richten und dein aktueller Rum wird wegen des Fehlers am Ende umso besser schmecken?
Benutzeravatar
Alk52
Beiträge: 807
Registriert: 17. Jun 2019, 13:42

Re: Stechender Geruch im Vorlauf

Beitrag von Alk52 »

Die Alkoholausbeute ist mit ca. 8 vol% geringer ausgefallen, als die angestrebten 10 vol%.

Nein, meine alten Rums sind OK und haben auch vor der Lagerung nie so gerochen. Der aktuelle Raubrand (ohne ca. 50ml/10l Maische Vorlauf) riecht zwar nicht mehr so intensiv wie der Vorlauf und wird ja noch mindestens 1x gebrannt, aber ich habe kein gutes Gefühl, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass eine anschließende Eichenlagerung (Sticks) ihn zum Guten wendet.
Nichts ist ohne Grund.
Benutzeravatar
derwo
Beiträge: 3415
Registriert: 20. Okt 2018, 21:35

Re: Stechender Geruch im Vorlauf

Beitrag von derwo »

Beim Feinbrand hast du jedenfalls wesentlich mehr Chancen, das loszuwerden, als beim Raubrand.

8 von 10 möglichen vol%, daran kann es nicht liegen.

Das Ei kann nur den Gehalt an höheren Alkoholen erhöhen. Das passt aber nicht zu deiner Beschreibung.

Wenn der Geruch vor allem im Vorlauf ist, ist es jedenfalls auch keine Essigsäure.

Ich würde den Rum etwas sauberer planen. Also beim Feinbrand beim Vorlauf sehr viel Rektifikation einsetzen. Und viele Gläschen anfangs sammeln, damit du alle Möglichkeiten hast, also viel oder wenig abzutrennen.
Ich würde auch einen Mittelbrand dazwischenlegen. Aber nicht wegen dem Vorlauf.
Benutzeravatar
Alk52
Beiträge: 807
Registriert: 17. Jun 2019, 13:42

Re: Stechender Geruch im Vorlauf

Beitrag von Alk52 »

Danke für die Hinweise.
Ich werde, wie vorgeschlagen anfangs mit sehr hoher Rektifikation brennen und viele Gläschen sammeln. Beim Nachlauf fange ich auch früher als sonst an zu sammeln.
Ob es ein Mittel- oder Feinbrand wird kann ich dann ja immer noch entscheiden.
Nichts ist ohne Grund.
Benutzeravatar
Alk52
Beiträge: 807
Registriert: 17. Jun 2019, 13:42

Re: Stechender Geruch im Vorlauf

Beitrag von Alk52 »

Gestern haben wir den Geruch zu viert nochmal getestet. Die überwiegende Reaktion, trotz Warnung nur ganz vorsichtig - fechelnd- zu riechen, führt zu Tränen in den Augen und dem schon von mir beschriebenen "Schlag unter die Schädeldecke".
Bei ganz vorsichtigem Öffnen einens ruhenden Gläschens hat einer der Tester etwas, das nach Rum riecht erkannt. Ursache ev. das spezifisches Gewicht der Dämpfe?

Ich habe mir heute im Begleitsstoffsimulator alle Stoffe angesehen, als einziger ist Butanal im Geruch als stechend beschrieben, Allylalkohol ist auch ev. dicht dran.
In dieser Usaina - Die Duftstoffdatenbank sind beide Stoffe unter 'stechender Geruch' aufgelistet.
Nichts ist ohne Grund.
Benutzeravatar
derwo
Beiträge: 3415
Registriert: 20. Okt 2018, 21:35

Re: Stechender Geruch im Vorlauf

Beitrag von derwo »

In diesem link ist auch Acetaldehyd als stechend beschrieben. Ein anderer Name für Acetaldehyd ist nämlich Ethanal. Es ist glaube ich ziemlich unmöglich, in einer Maische ganz viel Butanol zu haben aber nicht viel Acetaldehyd. Und im Destillat dann auch.

Das sind die ersten ml eines Raubrands, gell? Wie viel ml von wie viel liter im Kessel?
Benutzeravatar
Alk52
Beiträge: 807
Registriert: 17. Jun 2019, 13:42

Re: Stechender Geruch im Vorlauf

Beitrag von Alk52 »

Ich habe 3x 25 ml aus 12l gesammelt. Im 3. Gläschen läßt der Geruch nach ist aber noch sehr intensiv.
Nichts ist ohne Grund.
Benutzeravatar
Alk52
Beiträge: 807
Registriert: 17. Jun 2019, 13:42

Re: Stechender Geruch im Vorlauf

Beitrag von Alk52 »

Hab noch mal bei Schmickl nach "geschwefelt" gesucht, es hätte ja sein können, dass die Melasse (neuerdings) geschwefelt war und
ca. 200ml der Vorläufe in ein Glas gekippt und 15min lang mit einem Milchschäumer belüftet.
EIn wenig hat es geholfen, ich kann die typischen Vorlaufkomponenten (Uhu, Nagellackentferner) jetzt erkennen, aber der stechende Geruch ist (leicht reduziert) immer noch vorhanden.
Nichts ist ohne Grund.
Benutzeravatar
derwo
Beiträge: 3415
Registriert: 20. Okt 2018, 21:35

Re: Stechender Geruch im Vorlauf

Beitrag von derwo »

Welche Melasse war das?

Wenn es eine Schwefelverbindung ist, dann ist es wohl SO². Das mit dem Milchaufschäumer pustet halt alles Flüchtige raus, nicht nur Schwefelverbindungen. Es ist nicht so, daß das eine spezielle Methode nur gegen SO² wäre.
Hier gibt es Methoden, SO² zu eliminieren:
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/ful ... 02/jib.100
https://istillblog.com/2018/08/23/odin-removes-sulfur/
Wenn was davon erfolgreich wäre, wäre das ein Hinweis, daß du mit dem Schwefel recht hast.

Edit: Der Vorlauf war ja vom Raubrand und du hast auch beim Vorlauf keine Rektifikation eingesetzt, ja?
Benutzeravatar
Alk52
Beiträge: 807
Registriert: 17. Jun 2019, 13:42

Re: Stechender Geruch im Vorlauf

Beitrag von Alk52 »

Nach Herstellerangabe (AMAZON Nortembio Agro Rohrmelasse 28 Kg) ist die Melasse frei von Schwefeldioxid.
Ja, der Vorlauf aus dem Raubrand wurde ohne Rektifikation gesammelt.
Ich habe inzwischen fast die gesamte Maische gebrannt.
Die erste Hälte habe ich - bis auf den Vorlauf- in einer Edelstahltonne gesammelt. Hier habe ich einen zusätzlichen Effekt, auf der Oberfläche des Raubrandes befinden sich Fettaugen, die vom Rapsöl stammen können, das als Entschäumer mit gebrannt wurde (Heizung 2,3kW).
Die 2. Hälfte habe ich in 5l Flaschen gesammelt, hier habe ich Butter als Entschäumer genutzt und sie riecht angenehmer als die 1.Hälfte.
Der Vorlauf über alle Raubrände hat immer den beißend stechenden Geruch.
Die Ph-Werte von Maische (~5), Vorlauf (~5) und Raubrand (~5) mit Teststreifen gemessen.

Die 2 Links habe ich angesehen. Die Entfernung von SO² mit Hilfe von Wasserstoffperoxid wäre bei sicher eine Lösung, aber wie schätze ich ab, wie viel SO² in der Maische ist. Was passiert, wenn ich überdosiere?
Nichts ist ohne Grund.
Benutzeravatar
derwo
Beiträge: 3415
Registriert: 20. Okt 2018, 21:35

Re: Stechender Geruch im Vorlauf

Beitrag von derwo »

Diese Melasse haben ja schon mehrere von uns verwendet. Seltsam. Man kauft aber ja nicht von einem Hersteller, sondern von einem Händler, der wechselnde Lieferanten hat, bzw dessen Lieferant ja auch nur ein Zwischenhändler ist.

2.3kW ist halt schon recht viel bei einer Rummaische. Aber wenn was übergeschäumt wäre, würde man es ja sehen. Und ich wüsste auch nicht, warum das dann diesen Geruch hervorrufen könnte.

Der pH- Wert sagt nichts aus, da das Destillat ja ungepuffert ist.

Mit H²O² werden aber auch die Aldehyde zerstört. Also wenn es was bringen sollte, wüssten wir immer noch nicht, ob es Acetaldehyd oder SO² ist.
Ich habe mal in einen Brand etwas H²O² und einen Platinkatalysator gegeben. Das hat den Brand absolut zerstört. Es schmeckte sehr seltsam chemisch. Es war allerdings was Holzgelagertes.

Ich schlage vor, du machst einfach einen Feinbrand und planst dabei einen hoch rektifizierten und großzügigen Vorlaufschnitt ein.

Und wenn d H²O² verwenden willst, würde ich das halt stufenweise probieren. Ein bisschen was dazu und 24h warten. Dann riechen, ob es besser geworden ist und ob du noch mehr verwenden möchtest. Zuerst an einer kleineren Menge ausprobieren.
Das kannst du auch nach dem Feinbrand machen. Wahrscheinlich solltest du danach halt nochmal destillieren.
Benutzeravatar
Alk52
Beiträge: 807
Registriert: 17. Jun 2019, 13:42

Re: Stechender Geruch im Vorlauf

Beitrag von Alk52 »

Übergekocht ist definitiv nichts. Ich habe Stunden vor der Destille gessesen und mich gefreut, dass das 3" Puffervolumen alles geschluckt hat.

Da ich ja reichlich fertigen Raubrand habe, werde ich erst mal ein paar Versuche machen.
Je 100ml Raubrand, 1x Vergleich, 1x plus 5ml, 1x plus 10ml und 1x plus 20ml H²O² (3%). Nach 2 Tagen rieche ich hoffentlich, ob es was gebracht hat.
Nichts ist ohne Grund.