Säuren bei der Destillation: Flüchtig oder nicht flüchtig, gut oder schlecht?

Praxis und Theorie der Destillation. Sowohl Fragen zu und Berichte von Destillationen als auch theoretische Erklärungen und Überlegungen
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azeotrop
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Säuren bei der Destillation: Flüchtig oder nicht flüchtig, gut oder schlecht?

Beitrag von azeotrop »

Ich finde im Internet schöne Aufzählungen über flüchtige Säuren beim Wein. Über Destillation konnte ich nichts richtiges finden.
Bei der höherem Temperatur könnten ja Säuren ins Destillat wandern die beim Wein noch als nicht flüchtig gelten.

Hat jemand Infos oder Hinweise auf Lesestoff:
Welche Säuren kommen im Kessel vor?
Was bleibt im Kessel, was geht ins Destillat?
Gibt es Unterschiede in welcher Phase der Destillation welche Säuren stärker ins Destillat flüchten?
Welche Säuren sind erwünscht, welche unerwünscht und warum?

Für Hilfestellung wäre ich dankbar.
Es grüßt Azeotrop
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derwo
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Re: Säuren bei der Destillation: Flüchtig oder nicht flüchtig, gut oder schlecht?

Beitrag von derwo »

Viele Säuren gehen nicht ins Destillat über. ZB alle Säuren, welche Feststoffe sind. Also zB Weinsäure oder Apfelsäure fallen daher schonmal weg.

Von der Menge her ist Essigsäure immer die wichtigste flüchtige Säure im Destillat. Genauso wie der von ihr gebildete Ester Ethylacetat immer der häufigste Ester ist. Wenn in wissenschaftlichen Schriften Daten vom Säure- oder Estergehalt abgedruckt sind, wurde meist einfach die Menge an Essigsäure und Ethylacetat gemessen. Der Rest ist von der Menge her vernachlässigbar. Nicht allerdings von der Sensorik! Andere flüchtige Säuren und Ester haben oft einen weitaus stärkeren Geruch. Man denke nur an Buttersäure.

Alle Säuren gehen eher im Nachlauf in das Destillat über. Daher brennt ein zu spät abgetrennter Schnaps auf der Zunge.
Ganz lässt es sich nicht vermeiden, außer man rektifiziert Neutralalkohol. Je mehr flüchtige Säuren im Kessel, desto mehr auch im Destillat.

Indirekt haben diese Säuren aber auch bei guter Abtrennung einen großen Einfluß auf das Destillat, da beim Destillieren teilweise aus ihnen Ester gebildet werden. Also zB durch Buttersäure wird ein Wein ganz klar ungeniesbar. Das Destillat aber nicht. Wenn man früh genug abtrennt, werden nur die fruchtig riechenden Ester der Buttersäure übergehen. Bei einem sortenreinen Obstbrand mag das stören, bei einem Whisky oder Rum nicht. Ein "Beweis" ist die Verwendung von Schlempe bzw Backset und Dunder bei Whisky und Rum. Jeder kennt ja den säuerlichen Geruch beim Ausleeren der Destille. Niemand kennt diesen Geruch aber von einem Whisky oder Rum. Diese flüchigen Säuren verlieren also ihre Flüchtigkeit, solange genug Alkohol mit im Kessel ist.

Neutralisiert mit Lauge gehen diese Säuren (und auch die Ester) nicht ins Destillat über. Also nicht nur der Säuregehalt entscheidet über das Übergehen sondern auch der pH-Wert.

Also, im Destillat sind Säuren generell unerwünscht würde ich sagen. Anscheinend möchte man, wenn man schon hochprozentigen Alkohol auf der Zunge hat, nicht noch zusätzliche Schärfe. Höchstens langfristig durch Lagerung auf Holz kann es sein, daß ein etwas säurehaltiges Destillat mehr "Potential" hat. Darauf hoffe ich stark bei einem meiner Rums ähem...

Beim Verdünnen scheinen Ester teilweise wieder zu Säuren und Alkohole gespalten zu werden und sich erst wieder mit der Zeit zusammenzufinden. Da gibt es auch Messungen. Das zu vermeiden, darauf zielt langsam Verdünnen wohl im Endeffekt ab. Ich bin mir nicht sicher, ob es hilft.

Man findet Lesestoff nur in Verbindung mit Estern. Suchwörter sind erstmal Carbon- bzw Fettsäuren. Und deren Ester.
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azeotrop
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Re: Säuren bei der Destillation: Flüchtig oder nicht flüchtig, gut oder schlecht?

Beitrag von azeotrop »

derwo

Vielen Dank. Das scheint ja ein weites Feld zu sein.
Bei den Estern hab ich auch noch Fragen. Die werde ich bei deinem Beitrag zu den Estern stellen, wenn ich mich eingelesen habe.

Es gibt schon eine Vielzahl von Beiträgen in den verschiedenen Foren. Aber oft fehlt mir das Grundwissen um die Aussagen wirklich verstehen zu können.
Aber wie sagt man: Langsam ernährt sich das Eichhörnchen ....
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azeotrop
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Re: Säuren bei der Destillation: Flüchtig oder nicht flüchtig, gut oder schlecht?

Beitrag von azeotrop »

Noch ne Frage zum Thema.
Ich habe den pH-Wert meines Apfel-Wacholder Brandes gemessen und kam auf 6,5.
Habe ich nun wenig Säuren oder sind da auch Basen im Spiel?
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derwo
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Re: Säuren bei der Destillation: Flüchtig oder nicht flüchtig, gut oder schlecht?

Beitrag von derwo »

Ich hab noch nie bei meinen Destillaten den pH gemessen. Ich kann also nicht beurteilen, was 6.5 bedeutet. Da ein Destillat grundsätzlich frei von Basen (außer Ammoniak vielleicht?) und Puffern oder Salzen ist, drücken Säuren den pH sehr leicht runter.
Dann kommt als Faktor das Verdünnungswasser dazu. Ich zB nehme Osmosewasser. Dieses Filtersystem lässt geringe Mengen an Kalk usw durch.
Ich glaube nicht, daß man mit einem pH-Messer viel ablesen kann. Außer vollkommene Fehlschläge vielleicht mit deutlicher Essiggärung, welche aber sensorisch auch durchfallen. Oder man misst vielleicht nach Zugabe einer winzigen und genaustens abgemessenen Base? Ich allerdings wüsste nicht, wie ich einen Krümel irgendeines Pulvers abmessen soll.

Edit: In den "Studies on Rum" von Arroyo (siehe Bibliothek) ab S 167 sind viele Messdaten. "Acidity" in mg/100ml reiner Alkohol.