Destillation mit weniger als 50% Kesselvolumen ?

Praxis und Theorie der Destillation. Sowohl Fragen zu und Berichte von Destillationen als auch theoretische Erklärungen und Überlegungen
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Alk52
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Destillation mit weniger als 50% Kesselvolumen ?

Beitrag von Alk52 »

In letzter Zeit fällt mir immer wieder auf, destillieren mit gering gefülltem Kessel macht nachdenklich... (hier ein paar Zitate)
- ich möchte mir im nächsten Jahr zusätzlich einen kleineren 5-8l Kessel bauen
- ... ZB bei einer 10l-Destille möchte man wenigstens 6-7.5l drinnen haben
- Umso höher das freie Volumen in der Brennblase wird, umso mehr neigt es [..] dazu, dass sich Vorlauf mit Mittellauf vermischt usw
- ...

Warum?

Meine Argumente dagegen sind gereift nachdem ich große Anlagen betrachtet habe, die in ihrer Potstillversion riesige Volumen und Oberflächen aus Kupfer über dem Kessel haben und somit Rektifikation.

Die anfangs genutzten langen Steigrohre dienten dem gleichen Zweck.

Wir bemühen uns heute mit gesteuertem Reflux/Rektifikation - nicht nur um höhere Ausbeute, sondern auch um bessere Ab-Trennung von Vorlauf und Nachlauf.

Bei mittlerer Heizleistung (1300W) mit meinen 17 Liter Kessel erzeuge ich ca. 3-4 Liter Dampf pro Sekunde, der aus dem Kessel verschwinden muss. Da ist es doch völlig egal, ob der Dampf im Kessel nach 1, 2, 3 oder 4 Sekunden ausgetauscht ist.

Ich glaube die oft gehörten Aussagen (s.o.) gehen immer noch von irgendeiner "mittleren Heizleistung" und "lohnender,sinnvoller Kesselfüllung" aus, dann sind sie berechtigt.
Aber bei zB. 10% Kesselfüllung erfolgt mit mittlerer Heizleistung die Destillation viel zu schnell und dabei wird alles mögliche ver- und rausgeblasen.

Wenn wir die Heizleistung so weit reduzieren, dass die Destillation in "vernünftigen (gewohnten)" Zeiten abläuft, sollte es doch funktionieren.
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derwo
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Re: Destillation mit weniger als 50% Kesselvolumen ?

Beitrag von derwo »

Neben dem Wunsch nach ökonomischer Verwendung der Destille und neben dem eventuellen Reflux-Problem, welches jeder selber als Problem sehen soll oder eben nicht, denke ich halt immer auch an die Überhitzung oberhalb des Kesselinhalts, zumindest bei Raubränden (oder Einfachbränden): Das, was oberhalb des Kesselinhalts an der Topfwand festklebt, wird über 100°C erhitzt, wenn die Heizquelle sehr nah ist. Nicht nur mit einem Gasbrenner. Auch beim Brennen mit einer Kochplatte kann man nach der Destillation eine merkliche Verdunkelung des Festgeklebtem am Kesselrand knapp oberhalb der Maischeoberfläche erkennen, wenn man niedrig befüllt hat. Also sind das wahrscheinlich Karamellisierungsvorgänge und Miallard-Reaktionen, welche aromatisch angenehme, aber nicht unbedingt erwünschte Vorstufen vom auf jedenfall nicht erwünschten Anbrennen und Anbrennaroma sind. Im Extremfall kann dieses Festgebackene jedenfalls anbrennen, da bin ich mir sicher. Also bevor es am Topfboden anbrennt. Wann genau bei wie niedriger Füllung, weiß ich halt auch nicht. Deswegen hatte ich das geschrieben mit den "...wenigstens 6-7.5l..."
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Alk52
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Re: Destillation mit weniger als 50% Kesselvolumen ?

Beitrag von Alk52 »

Nun, ich denke, die geringe Füllhöhe wird eher bei MIttel- oder Feinbränden zur Fragestellung... und wenn ich dann noch elektrisch, geregelt heize (sorry an die Gasbrenner ;) ) und langsam destilliere, sollten doch die von Dir beschrieben Wirkungen erst mal ausbleiben
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derwo
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Re: Destillation mit weniger als 50% Kesselvolumen ?

Beitrag von derwo »

Denke ich auch, daß das bei Mittel- und Feinbränden kein Problem ist. Sicher bin ich mir aber nicht:
Fuselöle heißen nicht umsonst Öle. Diese bleiben vielleicht an der Kesselwand kleben und verdampfen dann, da es bei ihnen über 100°C hat, obwohl der Kesselinhalt zB erst 90°C hat. Oder auch andere Sachen, welche an die heiße Kesselwand spritzen werden sofort komplett verdampft. Wenn dann keine Rektifikation diese Sachen wieder runterschmeißt, landen sie im Destillat. Im Endeffekt bedeutet das eine Verschleppung von Nachlaufkomponenten in den Mittellauf.
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azeotrop
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Re: Destillation mit weniger als 50% Kesselvolumen ?

Beitrag von azeotrop »

Derwo
An dem Argument ist was dran.
Je besser der Topfboden im Vergleich zur Seitenwand die Wärme leitet und je geringer man heizt, desto überschaubarer sollte die Problematik werden.
Nach dem Brennen sollte die Restflüssigkeit noch mindestens 2 cm hoch über dem Boden stehen.
Wenn zuwenig Flüssigkeit im Topf ist, kann sie die Energie der Heizplatte irgendwann nicht mehr sauber aufnehmen und es kommt zu unregelmäßigen „Hotspots“ die nahezu schlagartig verdampfen.
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derwo
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Re: Destillation mit weniger als 50% Kesselvolumen ?

Beitrag von derwo »

Hat jemand ein Laserthermometer?
Dann könnte er mal einen normalen Küchentopf ein paar cm mit Wasser befüllen, kochen und mit dem Laser die Topfwand von außen von oben nach unten untersuchen.
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azeotrop
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Re: Destillation mit weniger als 50% Kesselvolumen ?

Beitrag von azeotrop »

Du meinst Infrarot Thermometer.
Die Anzeige hängt stark von den Materialeigenschaften ab. Bei Fleisch und Stein geht es gut. Bei blanken Metallen nicht.
Wenn man das Metall schwarz lackiert klappt es wieder.
Aber man kann nicht perfekt Punktgenau messen.
Das ist eher wie eine gebündelte Taschenlampe.

Ich kann es gerne versuchen und berichten.
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derwo
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Re: Destillation mit weniger als 50% Kesselvolumen ?

Beitrag von derwo »

Ja, Infrarot... :doh:

Ob da zu Hause alle begeistert sind, wenn du einen Topf schwarz lackierst? :lol:
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azeotrop
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Re: Destillation mit weniger als 50% Kesselvolumen ?

Beitrag von azeotrop »

Tja :dontknow:
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Alk52
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Re: Destillation mit weniger als 50% Kesselvolumen ?

Beitrag von Alk52 »

Kleb doch einfach schwarzes Tape auf den Topf...
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azeotrop
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Re: Destillation mit weniger als 50% Kesselvolumen ?

Beitrag von azeotrop »

Schwarzes Klebeband hilft wirklich. Habe ich schon oft verwendet.

Ich werde ein normales Thermometer nehmen und alle paar cm aussen am Topf einen Klecks Wärmeleitpaste anbringen. Dann sollte ich ganz gut messen können.
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azeotrop
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Re: Destillation mit weniger als 50% Kesselvolumen ?

Beitrag von azeotrop »

Meine Messung ist fertig.
Ein Topf, 28cm hoch mit 30cm Durchmesser. Ca. 20 Liter Inhalt.
Gefüllt mit Wasser 5 cm hoch, ca. 3,5 Liter. Oben drauf ein Glasdeckel der den Blick nach innen erlaubt.
Betrieben mit einer 2,6 kW Elektroheizplatte bis zum Brodeln.
Die Topfaussenwand hatte ganz unten, ca. 5 cm über der Heizplatte (ca. 1 cm unter der Wasseroberfläche) die Temperatur des siedenden Wassers.
Weiter oben nahm die Temperatur kontinuierlich ab. Fünf cm unterhalb des Deckels hatte die Aussenwand etwa 3 Grad unterhalb der Siedetemperatur.
Das konnte ich optisch durch den Glasdeckel bestätigen da an der Seitenwand Kondensation auftrat und deutlich sichtbar in Strömen zurück ins Wasser lief. ich habe solange und so intensiv gekocht dass es den Deckel abheben wollte.
Die Aussenwand war oben immer kühler als unten.
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Alk52
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Re: Destillation mit weniger als 50% Kesselvolumen ?

Beitrag von Alk52 »

Danke für die Messung und die Beobachtungen.

Die Isolierung von Kessel und Deckel lohnt sich, zumindest dann, wenn die Rektifikation in Kupfer-SPP-Kolonne erfolgen soll.
Und es könnte durchaus funktionieren, Mittel- bzw. Feinbrände mit weniger als 50% Kesselfüllung zu brennen.
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azeotrop
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Re: Destillation mit weniger als 50% Kesselvolumen ?

Beitrag von azeotrop »

Ich denke es ist auch klar dass die Ausssenwand nicht heisser werden kann als der Dampf, solange nur Wasser drin ist.
Beheizt wird die Topfwand durch die kleine Fläche Wanddicke mal Umfang. Gekühlt wird sie über die große Fläche Topfhöhe mal Umfang.
Selbst wenn man den Topf perfekt isoliert, wird die Wandung von innen durch den Dampf auf 100°C "runtergekühlt"
Wenn man aber mit dicker Maische arbeitet bleibt ja eine Schicht Maische an der Innenwand kleben und isoliert diese gegen die "Kühlwirkung" des Dampfes. Das könnte erklären was wir alle schon erlebt haben. Die Maischereste brennen oberhalb des Flüssigkeitsspiegels an.

Bei Feinbränden kann das ja nicht auftreten.
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derwo
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Re: Destillation mit weniger als 50% Kesselvolumen ?

Beitrag von derwo »

Danke für das Experiment. Bei deinen Schlussfolgerungen gehe ich mit.

Ich habe übrigens auch schon mal einen Feinbrand mit 7l im 17-l-Topf gemacht. Aus versehen. Hab es erst nach dem Aufheizen gemerkt, daß ich den große Topf genommen hatte.
Es war der hier: viewtopic.php?f=18&t=564
Wenn ich dort nochmal durchlese...
"Den Mittellauf sensationell spät erst beendet: Bei 50.2vol%. Die Mittellaufausbeute war 73%. Das ist glaube ich mein Rekord ... Ich bin gespannt, wie der in einem Jahr schmeckt. Ob ich da vielleicht dann bereue, so weit runter gesammelt zu haben."
... dann komme ich etwas ins grübeln, ob das mit dem leeren Topf zu tun hat. Dann hätte ich also den Mittellauf durch Rektifikation verlängert. Also im Endeffekt das Aroma verdünnt.