Alkoholstärken, Massenströme und Temperaturen in Refluxkolonnen

Praxis und Theorie der Destillation. Sowohl Fragen zu und Berichte von Destillationen als auch theoretische Erklärungen und Überlegungen
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derwo
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Alkoholstärken, Massenströme und Temperaturen in Refluxkolonnen

Beitrag von derwo »

Ich habe das hieraus abgetrennt: Haben Dampf und Reflux die gleiche Temperatur?
Hügelwilli



Ich habe da nochmal drüber nachgedacht, also darüber, ob Dampf und Reflux an derselben Stelle die gleiche Temperatur haben, und bin inzwischen nicht mehr der Meinung, daß Dampf und Reflux auf der gleichen Höhe bzw der gleichen Platte dieselbe Temperatur haben. Also diese in diesem Thema von mir selber erstellte Tabelle...
vol%(fl)°Cvol%(vap)
83.879.589.4
82.879.689.0
81.779.788.6
80.679.888.2
79.579.987.9
78.480.087.6
...halte ich inzwischen für falsch.

Meine Begründung:
1. Eine Kolonne ist ein Zwischenspeicher. Läuft sie mal stabil, verändert sich nichts mehr, eine bestimmte Menge Alkohol und Wasser sind in ihr quasi zwischengespeichert.
2. Was permanent in die Kolonne durch den Dampf eingetragen wird, muss in der gleichen Menge irgendwo wieder rauskommen, sonst würde sich der Inhalt der Kolonne ja ändern, was er aber nicht tut.
3. Daraus folger ich:

DampfAusDemKessel = ObenAbgezogenesProdukt + UntenZurückfließenderRückfluss

Wird kein Produkt abgezogen, fließt in den Kessel also flüssig exakt das zurück, was als Dampf hochgeschickt wird.
Das bedeutet, wenn Dampf mit 50gew% hochgeschickt wird, fließt bei 100% Reflux die gleiche Masse mit 50gew% zurück in den Kessel.
Und Folgendes ist das Problem dabei: Der Kesselinhalt und der Dampf haben bei dieser Akoholstärke 91.5°C, der Siedepunkt des Rückflusses ist aber bei nur 81.9°C. Der Rückfluss kann also nicht heißer sein als 81.9°C. Ich vermute, er hat genau diese 81.9°C, kann es aber nicht beweisen. Jedenfalls aber muss der Rückfluss in diesem Fall mindestens 91.5-81.9=9.4°C kälter sein als der Dampf, sonst wäre er nicht flüssig.
Das bedeutet also, der Rückfluss ist kälter als der Kesselinhalt bzw der Dampf. Also -wenn wir uns es bei einer Kolonne mit echten Böden anschauen- der Dampf, der durch die Flüssigkeit im untersten Boden durchströmt, ist heißer als diese Flüssigkeit. Denn diese Flüssigkeit ist ja identisch mit dem Rückfluss; der Rückfluss ist ja nur der Überlauf von dem, was auf dem untersten Boden an Flüssigkeit ist. Also wenn man behauptet, daß Rückfluss und Dampf die gleiche Temperatur haben, behauptet man, der Rückfluss könne über seinen Siedepunkt hinaus flüssig sein.

Damit ist der Beweis erbracht, denke ich. Wenn jemand einen Fehler findet, würde ich mich sehr freuen, das zu lesen. Ich bin wegen dieser Sache etwas nervös, weil es sehr grundlegend ist und wir bisher trotzdem keine klare Sicht darauf haben. Das ist eine große Wissenslücke, die wir da haben.
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Alk52
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Re: Alkoholstärken, Massenströme und Temperaturen in Refluxkolonnen

Beitrag von Alk52 »

Ach wo,
jetzt wird es hart. Dann suchen wir mal Deinen Fehler, die wir im Jan. 2021, teils aus gutem Glauben und andererseits vielleicht aus Bequemlickeit, nicht hinterfragt haben.
Ich bin gegen Vollzitate, aber wenn das Thema in ein paar Jahren wieder hochkocht, können wir uns bestimmt besser erinnern.
derwo hat geschrieben: 14. Nov 2022, 22:53 Ich habe da nochmal drüber nachgedacht, also darüber, ob Dampf und Reflux an derselben Stelle die gleiche Temperatur haben, und bin inzwischen nicht mehr der Meinung, daß Dampf und Reflux auf der gleichen Höhe bzw der gleichen Platte dieselbe Temperatur haben. Also diese in diesem Thema von mir selber erstellte Tabelle...
vol%(fl)°Cvol%(vap)
83.879.589.4
82.879.689.0
81.779.788.6
80.679.888.2
79.579.987.9
78.480.087.6
...halte ich inzwischen für falsch.
Das ist keine Kolonnentabelle sondern die Siedepunkttabelle mit vol% im Kessel, der Temperatur von Flüssigkeit und Dampf, sowie den vol% im Dampf. Und die ist vielleicht noch nicht bis auf letzten Nachkommstellen richtig, aber Deine Betrachtung/Bewertung (an dieser Stelle) ist falsch..
derwo hat geschrieben: 14. Nov 2022, 22:53 Meine Begründung:
1. Eine Kolonne ist ein Zwischenspeicher. Läuft sie mal stabil, verändert sich nichts mehr, eine bestimmte Menge Alkohol und Wasser sind in ihr quasi zwischengespeichert.
2. Was permanent in die Kolonne durch den Dampf eingetragen wird, muss in der gleichen Menge irgendwo wieder rauskommen, sonst würde sich der Inhalt der Kolonne ja ändern, was er aber nicht tut.
3. Daraus folger ich:

DampfAusDemKessel = ObenAbgezogenesProdukt + UntenZurückfließenderRückfluss

Wird kein Produkt abgezogen, fließt in den Kessel also flüssig exakt das zurück, was als Dampf hochgeschickt wird.
Das bedeutet, wenn Dampf mit 50gew% hochgeschickt wird, fließt bei 100% Reflux die gleiche Masse mit 50gew% zurück in den Kessel.
Hier bin ich bei Dir.
derwo hat geschrieben: 14. Nov 2022, 22:53 Und Folgendes ist das Problem dabei: Der Kesselinhalt und der Dampf haben bei dieser Akoholstärke 91.5°C, der Siedepunkt des Rückflusses ist aber bei nur 81.9°C. Der Rückfluss kann also nicht heißer sein als 81.9°C. Ich vermute, er hat genau diese 81.9°C, kann es aber nicht beweisen. Jedenfalls aber muss der Rückfluss in diesem Fall mindestens 91.5-81.9=9.4°C kälter sein als der Dampf, sonst wäre er nicht flüssig.
Stimmt. Was willst Du beweisen?
Ich habe die Werte in den Kolonnensimulator eigegeben und sehe, dass Du eine Kolonne mit 2 theoretischen Böden gewählt hast, also 1 realen Boden, weil der 1. theoretische Boden ist ja der Übergang aus der Flüssigkeit in die Dampfphase
derwo hat geschrieben: 14. Nov 2022, 22:53 Das bedeutet also, der Rückfluss ist kälter als der Kesselinhalt bzw der Dampf.
Richtig. Dein kleinerer Wert mit 81,8°C ist die SIede-Temperatur auf dem Boden und des Dampfes über dem 1. realen Boden und das ist auch die Temperatur bei der am RK aus dem Dampf wieder Flüssigkeit mit 81.8°C wird, die auf den 1. Boden tropft - egal ob der RK gerade soeben in der Lage ist den gesamten Dampf zu kondensieren oder völlig überdimesioniert läuft (zu viel kaltes Wasser).
derwo hat geschrieben: 14. Nov 2022, 22:53 Also -wenn wir uns es bei einer Kolonne mit echten Böden anschauen- der Dampf, der durch die Flüssigkeit im untersten Boden durchströmt, ist heißer als diese Flüssigkeit.
Nein. Hättest Du statt Du statt "durchströmt" - "einströmt" geschrieben, wäre es richtig.
Der aufsteigende Dampf liefert die Energie, damit auf diesem Boden Flüssigkeit bei der Siedetemperatur verdampfen kann.
derwo hat geschrieben: 14. Nov 2022, 22:53 Denn diese Flüssigkeit ist ja identisch mit dem Rückfluss; der Rückfluss ist ja nur der Überlauf von dem, was auf dem untersten Boden an Flüssigkeit ist.
Das habe ich nie bestritten.
derwo hat geschrieben: 14. Nov 2022, 22:53 Also wenn man behauptet, daß Rückfluss und Dampf die gleiche Temperatur haben, behauptet man, der Rückfluss könne über seinen Siedepunkt hinaus flüssig sein.
Nein. Warum sollte der Rückfluss in den Kessel die gleiche Temeratur haben wie der aufsteigende Dampf? Diese Aussage gilt strenggenommen und auch nur angenähert für eine Kolonne mit unendlich vielen Böden.
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derwo
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Re: Alkoholstärken, Massenströme und Temperaturen in Refluxkolonnen

Beitrag von derwo »

Mein Fazit war halt damals diese Tabelle. Also daß zB dort, wo der Dampf 89.4vol% hat, die Flüssigkeit 83.8vol% und beide 79.5°C.
Dem hat damals am Ende glaube ich niemand widersprochen.
Alk52 hat geschrieben: 15. Nov 2022, 16:58
derwo hat geschrieben: 14. Nov 2022, 22:53 Und Folgendes ist das Problem dabei: Der Kesselinhalt und der Dampf haben bei dieser Akoholstärke 91.5°C, der Siedepunkt des Rückflusses ist aber bei nur 81.9°C. Der Rückfluss kann also nicht heißer sein als 81.9°C. Ich vermute, er hat genau diese 81.9°C, kann es aber nicht beweisen. Jedenfalls aber muss der Rückfluss in diesem Fall mindestens 91.5-81.9=9.4°C kälter sein als der Dampf, sonst wäre er nicht flüssig.
Stimmt. Was willst Du beweisen?
Ich habe die Werte in den Kolonnensimulator eigegeben und sehe, dass Du eine Kolonne mit 2 theoretischen Böden gewählt hast, also 1 realen Boden, weil der 1. theoretische Boden ist ja der Übergang aus der Flüssigkeit in die Dampfphase
Ich habe keine bestimmte Bödenanzahl ausgewählt. Diese Rechnung funktioniert, egal wie viel Böden man nimmt.

Ich meinte "einströmt". Ja, "durchströmen" ist falsch.

Alk52 hat geschrieben: 15. Nov 2022, 16:58
derwo hat geschrieben: 14. Nov 2022, 22:53 Also wenn man behauptet, daß Rückfluss und Dampf die gleiche Temperatur haben, behauptet man, der Rückfluss könne über seinen Siedepunkt hinaus flüssig sein.
Nein. Warum sollte der Rückfluss in den Kessel die gleiche Temeratur haben wie der aufsteigende Dampf? Diese Aussage gilt strenggenommen und auch nur angenähert für eine Kolonne mit unendlich vielen Böden.
Ich dachte halt, daß der Dampf und der Rückfluss die gleiche Temperatur haben. Und widersprochen hat mir keiner, oder?
Was meinst du mit unendlichen Böden? Meinst du, bei unendlichen Böden hat der Dampf und der Reflux dann plötzlich doch dieselbe Temperatur? Warum? Und wie geht die Rechnung dann auf, daß der entstehende Dampf und der Rückfluss in den Kessel bei 100% Reflux gleich sein müssen?
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Re: Alkoholstärken, Massenströme und Temperaturen in Refluxkolonnen

Beitrag von Alk52 »

derwo hat geschrieben: 15. Nov 2022, 20:54 Was meinst du mit unendlichen Böden? Meinst du, bei unendlichen Böden hat der Dampf und der Reflux dann plötzlich doch dieselbe Temperatur?
Dein Zahlen-Beispiel bezog sich auf (2 theoretische bzw.) 1 realen Boden, da liegt die Temperaturdifferenz zwischen dem Kesseldampf und dem Reflux (=Überlauf vom 1. realen Boden) bei den von Dir genannten Werten.
Wenn Du aber 2 oder mehr reale Böden betrachtest, dann wird die Temperturdifferenz zwischen dem Kesseldampf und dem Reflux (Überlauf) des unteren Bodens immer kleiner.
Bei unendlich vielen Böden ist diese T-Differenz infinitesimal klein, dh. man kann sie nicht mehr messen und spricht dann von 'gleichen' Temperaturen.
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Re: Alkoholstärken, Massenströme und Temperaturen in Refluxkolonnen

Beitrag von derwo »

Das war das Beispiel:
Das bedeutet, wenn Dampf mit 50gew% hochgeschickt wird, fließt bei 100% Reflux die gleiche Masse mit 50gew% zurück in den Kessel.
Und Folgendes ist das Problem dabei: Der Kesselinhalt und der Dampf haben bei dieser Akoholstärke 91.5°C, der Siedepunkt des Rückflusses ist aber bei nur 81.9°C.
Ich schreibe nichts von zwei Böden. Ich schreibe nur, daß das, was als Dampf in die Kolonne geschickt wird, auch irgendwo rauskommen muss. Und bei 100% Reflux ist das unten. Und das, was flüssig rauskommt, kann nicht heißer sein als sein Siedepunkt.

Ich möchte verstehen, was du meinst:
Unendliche Böden, die Kolonne läuft schon lange Zeit bei 100% Reflux. Im Kessel sind 9.2gew%. Die Dampfentwicklung aus dem Kessel ist 100g/min mit 50gew% und 91.5°C. Ich behaupte nun, daß auch 100g/min 50gew% wieder in den Kessel zurückfließen, und zwar mit 81.9°C, also deutlich kälter als der Dampf. Du behauptest, daß etwas mit 91.5°C in den Kessel zurückfließt. Wie viel g/min und wie viel gew%?
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Re: Alkoholstärken, Massenströme und Temperaturen in Refluxkolonnen

Beitrag von Alk52 »

Es war wohl einfach zu spät gestern Abend... :oops:
Alk52 hat geschrieben: 15. Nov 2022, 23:18 Dein Zahlen-Beispiel bezog sich auf (2 theoretische bzw.) 1 realen Boden, da liegt die Temperaturdifferenz zwischen dem Kesseldampf und dem Reflux (=Überlauf vom 1. realen Boden) bei den von Dir genannten Werten.
Wenn Du aber 2 oder mehr reale Böden betrachtest, dann wird die Temperturdifferenz zwischen dem Kesseldampf und dem Reflux (Überlauf) des unteren Bodens Dampf und Rückfluss durch die hinzugekommenen Böden immer kleiner.
Bei unendlich vielen Böden ist diese T-Differenz infinitesimal klein, dh. man kann sie nicht mehr messen und spricht dann von 'gleichen' Temperaturen.
Ich habe den Kolonnensimultor mit 11,5 vol% gefüllt und wie bereits erwähnt 2 theoretische Böden eingestellt, dann sehe ich Deine beiden Temperaturwerte. Dann habe ich die Anzahl der Böden erhöht und im oberen Bereich gesehen, dass die Differenzen zwischen den Stufen immer kleiner werden (meine korrigierte Aussage im Zitat), aber ich habe übersehen, dass die Differenz am untersten Boden immer gleich bleibt.

Unsere aktuelle Diskussion hat bei mir die Sichtweise auf die Kolonne verändert. Bisher habe ich immer nur den Raum über einem Boden gesehen und habe ich mich mit jedem weiteren Boden über den Gewinn an vol% gefreut, aber nie darüber nachgedacht, wie im stationären Zustand der eingelaufenen Kolonne, ohne Produktentnahme, der Energiefluss zurück statfindet.

Wir haben mehrfach darüber gesprochen, dass die Temperaturmessung in der Kolonne schwierig ist, weil Refuxtropfen die den Sensor treffen, zu geringeren Temperaturen führen, jetzt wissen wir warum das so ist.

Unser Fazit ?
Über einem Boden haben Dampf, Flüssigkeit und Überlauf die gleiche Temperatur. Damit ist der Reflux durch einen Boden kälter als der Dampf unter dem Boden.
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Re: Alkoholstärken, Massenströme und Temperaturen in Refluxkolonnen

Beitrag von derwo »

Ok, also zur Zeit sind wir uns einig?
Dann gehe ich einen Schritt weiter:
Kolonne100%R.png
Es geht weiterhin nur um 100% Reflux. Wie weit diese Kolonne nach oben hin fortgesetzt wird, ist zumindest bei 100% Reflux bezüglich der dargestellten unteren Platten egal.
Die g/min sind mit dem Rechner Watt->Destillatmenge aus den angegebenen 2590W berechnet. Das Bild geht also davon aus, daß die Anlage perfekt isoliert ist.

Temperaturdifferenzen treten also an folgenden Stellen auf:
- Wo der Dampf von unten auf die Platte trifft.
- Wo der Rückfluss auf die Flüssigkeit eine Platte darunter (bzw den Kesselinhalt) trifft.

Falls keine Anmerkungen kommen, mache ich morgen mit Produktentnahme weiter. Das wird sehr spannend.
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Alk52
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Re: Alkoholstärken, Massenströme und Temperaturen in Refluxkolonnen

Beitrag von Alk52 »

Ganz langsam.
Alk52 hat geschrieben: 16. Nov 2022, 11:15 Unser Fazit ?
Über einem Boden haben Dampf, Flüssigkeit und Überlauf die gleiche Temperatur. Damit ist der Reflux durch einen Boden kälter als der Dampf unter dem Boden.

Von mir aus können wir auch annhemen, dass auf der Unterseite des Bodens zusätzliche Kondensation stattfindet.
Sind wir uns darüber einig ?
Deine Berechnungen in g/min kann ich gerade nicht nachvollziehen. Hast Du den Energieverlust eingerechnet, der durch die Verdunstung und Erwärmung des Reflux auf der Platte eintritt?
Kannst Du die Rechnung nachvollziehbar bzw. die Schritte im Rechner beschreiben?
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derwo
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Re: Alkoholstärken, Massenströme und Temperaturen in Refluxkolonnen

Beitrag von derwo »

Die Unterseite des Bodens wird eher die Temperatur des Dampfes darunter als die der Flüssigkeit oberhalb haben. Aber gut, da kondensieren trotzdem halt minimale Mengen. Das ist nicht berechenbar, ohne daß es ewig kompliziert wird, und hat mit den grundsätzlichen Fragen nichts zu tun.
Vielleicht reduziert das in der Praxis minimal die Platteneffizienz. Vielleicht auch nicht. Denn die Energie aus dem Kondensieren wird ja an den Boden und damit trotzdem in die Flüssigkeit darüber weitergeleitet.

Einen Energieverlust gibt es nicht, da die Kolonne perfekt isoliert ist. Energie wird nur ausgetauscht. Wenn etwas kondensiert und dadurch Energie gewonnen wird, wird sie gleichzeitig in Verdampfung umgesetzt.
Die g/min sind mit dem Rechner Watt -> Destillatmenge berechnet. Überall sind diese 2950 Watt; und die bedeuten bei 50gew% im Dampf laut diesem Rechner nun mal 100g/min und bei 88gew% 153g/min.
Die g/min sind nicht wichtig bei dem Beispiel mit 100% Reflux, aber bei Produktabzug werden sie dann wichtig. Deswegen ist es wichtig, es hier an diesem einfachen Beispiel zu klären.
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Alk52
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Re: Alkoholstärken, Massenströme und Temperaturen in Refluxkolonnen

Beitrag von Alk52 »

Gut, dann erst mal weiter.
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Re: Alkoholstärken, Massenströme und Temperaturen in Refluxkolonnen

Beitrag von derwo »

Jetzt kommt Produktabzug ins Spiel:
Kolonne80%R.png
80% Reflux. Weil es am einfachsten zu zeichnen ist, habe ich eine LM genommen. Der Refluxkondensator ist so eingestellt, daß er den Dampf komplett kondensiert, aber nicht weiter abkühlt. Die Kolonne ist auch hier perfekt isoliert.
Die Alkoholstärken und Temperaturen vom Dampf (orangene Schrift) sind mit dem Kolonnensimulator berechnet. Die g/min mit Watt->Destillatmenge. Daraus ergibt sich dann die Menge und Alkoholstärke des Produkts (20% von den 154g/min 88.6gew%).
Die nun wichtigste Zahl, das was in den Kessel zurückfließt, habe ich nun aus folgender Formel errechnet:
DampfAusDemKessel = ObenAbgezogenesProdukt + UntenZurückfließenderRückfluss
und mit dem Mischungsrechner, welcher nicht nur Alkohollösungen addieren sondern auch subtrahieren kann:
100g 50gew% - 30.8g 88.6gew% = 69.2g 32.8gew%

Ich habe das Bild nicht vollkommen ausgefüllt. Bin mir auch nicht sicher, ob ich das kann. Also die gew% und Temperaturen der Flüssigkeiten auf den Böden überall eintragen. Für die aktuelle Frage reichen jedenfalls die Werte auf dem Bild.

In den Kessel fließt also ebenfalls wieder eine kältere Flüssigkeit zurück. Der Temperaturunterschied ist aber gesunken.
Und der Rückfluss hat nicht mehr die gleiche Alkoholstärke wie der Dampf, durch den er zurückfließt, sondern eine niedrigere.

Aber, und jetzt wird es höchst spannend:
Aus Flüssigkeit mit 32.8gew% (Siedepunkt 83.9°C) entsteht laut Destillationsrechner Dampf mit 72.2gew% und 83.9°C. Der Kolonnensimulator behauptet aber, wir haben da 74.6gew% und 82.8°C! Das ist glaube ich zu unterschiedlich, als daß es auf Rundungsfehler zurückzuführen sei.
Der Destillationsrechner und der Kolonnensimulator verwenden dieselben Siedediagrammdaten. Der Kolonnensimulator aber zusätzlich die McCabe-Thiele-Methode, was aber erst sichtbar wird, wenn Produkt abgezogen wird. Diese Methode ist eine graphische; in das Siedediagramm werden Stufen und Geraden eingetragen und dann Werte abgelesen. McCabe-Thiele behauptet meines Wissens nicht, daß diese Theorie in der Praxis zu 100% stimmt. Sind wir hier auf den Unterschied zur Praxis gestoßen?
Für mich schaut es so aus: Wir haben McCabe-Thiele genommen, um den Alkoholgehalt des Destillats zu berechnen (Kolonnensimulator). Und undiskutierbare physikalische Konstanten, um aus den Watt die Mengen zu berechnen (Watt->Destillatmenge). Dann haben wir die Probe gemacht, ob die Summe der Ein- und Ausgänge aufgeht, und es geht eben nicht ganz auf.

Ich mache aber noch ein anderes Rechenbeispiel, mit 50% Reflux:
Kolonne50%R.png
Und das geht gar nicht mehr auf. Die mit McCabe-Thiele errechneten 72.7g 84.16gew% Produktabzug haben mehr Ethanol als die 100g 50gew%. Es ist unmöglich, dort oben mehr Ethanol abzuziehen, als unten reinströmt. Entweder sind die 84.16gew% zu hoch oder die 72.7g. Bzw beide. Die 72.7g können eigentlich gar nicht falsch sein, da das 50% von den gerundeten 145g ist. Allerdings sind es aber auch nur 145g, wenn es 84.16gew% sind. Es bleibt also als Ursache die 84.16gew%, die falsch sein muss. Und die wurden mit der geometrischen Methode von Macabe-Thiele berechnet. Der Alkoholgehalt oben muss deutlich niedriger sein, damit die Summe aufgeht.

Und bei 20% Reflux:
Kolonne20%R.png
Das gleiche. 88.2g 60.21gew% hat mehr Ethanol als 100g 50gew%.


Edit: Mir wäre es lieber, jemand findet einen Fehler bei mir, als daß McCabe-Thiele falsch ist.
Zuletzt geändert von derwo am 17. Nov 2022, 19:08, insgesamt 3-mal geändert.
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Re: Alkoholstärken, Massenströme und Temperaturen in Refluxkolonnen

Beitrag von Alk52 »

hc_1012.png
Da passt was nicht zusammen. Der Rückfluss ist kälter, hat aber die gleichen gew% wie Dampf und Flüssigkeit.

PS. Hast Du einen Kolonnenrechner, der vol% und gew% rechnet.
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Re: Alkoholstärken, Massenströme und Temperaturen in Refluxkolonnen

Beitrag von derwo »

Nein, habe ich nicht. Ich habe es halt umgerechnet. Ich dachte am Anfang, es wäre einfacher in gew%.

Ja, 88.6gew% hat als Dampf 78.9°C und kondensiert dann bei 78.7°C.
Ein extremeres Beispiel:
- 5gew% im Kessel sieden bei 95°C.
- der Dampf daraus hat 36gew% und 95°C.
- der Siedepunkt von 36gew% ist 83°C.
- also kondensiert der Dampf bei 83°C. 12°C muss er abkühlen.


Ich muss mir das aber nochmal anschauen. Vielleicht stimmt was nicht.
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Re: Alkoholstärken, Massenströme und Temperaturen in Refluxkolonnen

Beitrag von Alk52 »

Solange wir in einem stationären Zustand (Produktentnahem=0) passt es zusammen.
Wenn wir Produkt abnehmen, dann haben wir in ein Fließgleichgewicht in der Kolonne und ziehen Energie aus dem System, sind die 2590W jetzt noch gültig.
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Re: Alkoholstärken, Massenströme und Temperaturen in Refluxkolonnen

Beitrag von derwo »

Ich denke, schon, daß die Watt noch gelten. Aber es fordert meinen Kopf schon ziemlich.
Ich denke:
Die Energie wird vom LM-Refluxkondensator rausgenommen (ich habe die Bilder übrigens etwas editiert, damit besser deutlich wird, daß es eine LM ist). Der hat immer genauso viel zu tun, egal ob 0 oder 100% Reflux.
Und das Kondensat ist sozusagen energiefrei. Und somit sit die Menge egal. Quasi 100g x 0Energie = 0 und auch 50g x 0Energie = 0.
Oder anders überlegt: du hast ja den Verdacht, daß duch das Produkt Energie rausgenommen wird und deshalb weniger g/min Dampf in der Kolonne strömen. Nach dieser Logik würde aber bei 0% Reflux alle Energie vom Produkt rausgenommen werden, also gäbe es keine Energie in der Kolonne, also überall 0g/min. Dann gäbe es keine Potstill.

Also: Reflux fließt weniger bei Produktabzug. Dampf aber bleibt gleich (zumindest bezüglich seines Energiegehaltes. Da sich bei Produktabzug aber die Alkoholstärke ändert, ändern sich die g/min auch, aber diese anderen g/min entsprechen immer den 2590 Watt).
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Re: Alkoholstärken, Massenströme und Temperaturen in Refluxkolonnen

Beitrag von Alk52 »

Wenn ich in meinen CM-Reluxkühler gehe, dann habe ich dort eine Schicht Flüssigkeit an den Wänden, in der die Kondensation und Verdampfung stattfindet. DAmit hätte ich einen Boden mehr und müsste ev. die 20% auf diese Werte beziehen.
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Re: Alkoholstärken, Massenströme und Temperaturen in Refluxkolonnen

Beitrag von Alk52 »

Mein Bauchgefühl hat sich durchgesetzt.
Ich glaube im stationären Zustand, da wo alles ganz einfach scheint, müssen die Mengen anders berechnet werden.
Der von unten kommende Dampf transportiert die 2590W und erzeugt die von Dir berechneten Mengen/min.
Das was mir fehlt, ist in jeder Stufe, selbst im Kessel, die Aufheizung des Refluxes, der zwar mehr gew% hat, aber kälter ist. Hier wird Leistung verbraucht.
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Re: Alkoholstärken, Massenströme und Temperaturen in Refluxkolonnen

Beitrag von derwo »

Alk52 hat geschrieben: 17. Nov 2022, 16:08 Wenn ich in meinen CM-Reluxkühler gehe, dann habe ich dort eine Schicht Flüssigkeit an den Wänden, in der die Kondensation und Verdampfung stattfindet. DAmit hätte ich einen Boden mehr und müsste ev. die 20% auf diese Werte beziehen.
Das ist ein Grund, warum ich für diese Berechnung eine LM genommen habe. Bei einer CM kommt eine Platte dazu, aber eine mit eher schlechter Effizienz. Also mit weniger Rektifikation als die anderen Platten.
Es würde aber nicht viel ausmachen in den Beispielen. Etwas höhere gew% und etwas höhere g/min.
Alk52 hat geschrieben: 17. Nov 2022, 16:52 Mein Bauchgefühl hat sich durchgesetzt.
Ich glaube im stationären Zustand, da wo alles ganz einfach scheint, müssen die Mengen anders berechnet werden.
Der von unten kommende Dampf transportiert die 2590W und erzeugt die von Dir berechneten Mengen/min.
Das was mir fehlt, ist in jeder Stufe, selbst im Kessel, die Aufheizung des Refluxes, der zwar mehr gew% hat, aber kälter ist. Hier wird Leistung verbraucht.
Das ist ein Punkt, bei dem ich mir nicht sicher bin. Eigentlich ist der Reflux ja deswegen kälter, weil er vorher Energie übertragen hat. Also das, um was man ihn erhitzen muss, hat er vorher abgegeben. Das kommt also auf 0 raus.
Aber wenn ich mich täusche, wie viel würde das ausmachen?
Um 1kg Wasser mit schon 100°C zu verdampfen, braucht es 628 Wh.
Um 1kg Wasser um 1°C zu erhitzen, braucht es 1.16 Wh.
Du siehst, Erwärmen ist ein Klacks im Vergleich zum Verdampfen. Auch wenn es um 10°C geht, nicht nur um 1°C. Und bei Ethanol ist es zwar nicht ganz so unterschiedlich, aber das gleiche in der Größenordnung.
Und man könnte auch so argumentieren: Da die Kolonne nach oben hin kälter wird, gewinnt man insgesamt Energie für die Vedampfung. Dadurch müssten die g/min also etwas höher sein.
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Re: Alkoholstärken, Massenströme und Temperaturen in Refluxkolonnen

Beitrag von Alk52 »

Gehen wir im Beispiel nochmal auf den stationären Zustand zurück.
Zwischen Kessel und RK bzw. oberstem Boden haben wir eine Temperaturdifferenz von 91,5-78,7=12,8°C.
derwo hat geschrieben: 17. Nov 2022, 18:47 Um 1kg Wasser mit schon 100°C zu verdampfen, braucht es 628 Wh.
Um 1kg Wasser um 1°C zu erhitzen, braucht es 1.16 Wh.
Mit Wasser funktioniert unsere Kolonne nicht, da brauchen wir erst mal die passenden Werte für die Kesselfüllung.
Und dann müssen wir schauen wie viel Leistung von den 2590W für das Erwärmen des in den Kessel eintretenden Refluxes benötigt wird. Später überlegen wir, ob und wie es sich auf die einzelnen Stufen auswirkt.
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Re: Alkoholstärken, Massenströme und Temperaturen in Refluxkolonnen

Beitrag von derwo »

Wie gesagt, ich denke, es ist egal, da keine Energie verlorengehen kann und das Erwärmen so wenig ausmacht.
Aber hier nochmal das Komplettset:

Um 1kg Wasser mit schon 100°C zu verdampfen, braucht es 628 Wh.
Um 1kg Wasser um 1°C zu erhitzen, braucht es 1.16 Wh.
Um 1kg Ethanol mit schon 78.2°C zu verdampfen, braucht es 235 Wh.
Um 1kg Ethanol um 1°C zu erhitzen, braucht es 0.674 Wh.

Wobei die Erhitzung nicht ganz konstant ist. Sie hängt von der Temperatur ab. Also von 50 auf 60°C erhitzen kostet nicht dieselbe Energie wie von 60 auf 70°C. Es macht aber nicht viel aus.

Bei den Mischungen lässt sich das anteilig errechnen. Das müsste genau genug sein. Ich glaube die durch unterschiedliche Kontraktion erzeugte Wärme bzw Kälte kommt da noch dazu. Das ist abr ebenfalls gering.

Also 1kg 40gew% zu verdampfen braucht 0.4*235 + 0.6*628 = 471 Wh
Und 1kg 40% um 10°C zu erhitzen braucht 0.4*0.674*10 + 0.6*1.16*10 = 9.66 Wh


Ich habe das oben noch nicht korrigiert. Das wird aber glaube ich noch eine tolle Sache, glaube ich. Ich werde aber dann ein neues Thema öffnen, da es nicht mehr um die Temperatur Dampf/Reflux geht, sondern allgemein, welche Alkoholstärken und Massenströme auf welcher Platte/Dampf/Rückfluss sind.
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Alk52
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Re: Alkoholstärken, Massenströme und Temperaturen in Refluxkolonnen

Beitrag von Alk52 »

EIn neues Thema finde ich gut.
Dann sollten wir folgende Konstanten (MKSI-System) verwenden:

1 Joule [J] = 1 Watt [W] x 1 Sekunde [s]

Verdampfungsenthalpie
Wasser 2257 J/g => Um Wasser mit schon 100°C zu verdampfen, braucht es 2257 J/g.
Ethanol 854 J/g => Um Ethanol mit schon 78.2°C zu verdampfen, braucht es 854 J/g.

Spezifische Wärmekapazität
Wasser 4,18 J/g x K => Um Wasser um 1°C zu erhitzen, braucht es 4,18 J/g.
Ethanol 2,46 J/g x K => Um Ethanol um 1°C zu erhitzen, braucht es 2,46 J/g.

Bei dem Versuch Deine Diagramm-Werte nachzuvollziehen habe ich einen Fehler gefunden.
Aus dem Kessel mit 9,2 gew% kommen bei 2590W Heizleistung 73g/min mit 50 gew%...

Ich habe einen Ansatz in Excel gemacht und Werte eingetragen, die aber noch ohne Aufheizen des Refluxes bestimmt sind.
Vielleicht können wir damit weiter arbeiten oder muss noch etwas geändert werden?
.
hc_1020.png
2022.11.19 Kolonnen.Rechner.V1.xlsx
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derwo
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Re: Alkoholstärken, Massenströme und Temperaturen in Refluxkolonnen

Beitrag von derwo »

Ich rechne lieber mit Wh als mit Joule. Deswegen verwende ich auch die Konstanten für Wh, nicht die für Joule. Deine Konstanten sind aber richtig. Genauso rechne ich lieber in gew% als in das von theoretischen Unterlagen oft bevorzugte Molanteil.

Du musst, wenn du aus 9.2gew% 50gew% destillierst und die Menge von den 50gew% wissen willst, die Rechnung mit den 50gew% machen, nicht mit den 9.2gew%. Ich glaube da liegt der Fehler. Mit 9.2gew% kommt man auf 73g/min, mit 50gew% auf 100g/min.
So wie ich das sehe, kommen wir sonst auf das gleiche Ergebnis.

Hier nun nochmal meine Version von 100% Reflux:
Kolonne100%R2.png
Ich bin inzwischen ziemlich überzeugt, daß McCabe-Thiele (also das Reinrechnen des Reflux) nicht sehr genau ist und daß man das zumindest iterativ (sich schrittweise in wiederholten Rechengängen der exakten Lösung annähernd) besser machen könnte. Iterativ war 1925, als die McCabe-Thiele-Methode veröffentlicht wurde, noch nicht machbar. Dafür braucht es einen Computer.
Also ich denke, der Beitrag von mir mit den Bildern bei 80,50 und 20% Reflux, der stimmt. Ich habe keine Ahnung, ob aktuelle Simulationen von Destillationen noch McCabe-Thiele verwenden. Ich dachte eigentlich schon. Wenn diese Programme nicht nur Konzentrationen und Temperaturen berechnen sondern auch Ein- und Ausgangsströme, müsste man bemerkt haben, daß das nicht aufgeht.
Ich denke, ich habe morgen ein Bild mit einer Destillation mit Produktabzug, mit folgenden Eigenschaften:
- alle gew% g/min und °C sind eingetragen.
- alle Summen gehen auf. Also was von jeder Platte weggeht und dazukommt, ist gleich. Und was die Destille als Produkt verlässt plus der Rückfluss in den Kessel, entspricht der Dampfentwicklung aus dem Kessel.
- die Dampfalkoholstärken entsprechen den Siedediagrammdaten bezüglich der Platte unter dem Dampf.
- Die Dampfmengen entsprechen überall den 2590Watt.
- Die Flüssigkeit auf der Platte hat dieselbe Alkoholstärke wie der Rückfluss von der Platte herunter.
Zuletzt geändert von derwo am 21. Nov 2022, 09:35, insgesamt 1-mal geändert.
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Alk52
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Re: Alkoholstärken, Massenströme und Temperaturen in Refluxkolonnen

Beitrag von Alk52 »

derwo hat geschrieben: 19. Nov 2022, 23:16 Du musst, wenn du aus 9.2gew% 50gew% destillierst und die Menge von den 50gew% wissen willst, die Rechnung mit den 50gew% machen, nicht mit den 9.2gew%. Ich glaube da liegt der Fehler.
Es wird noch eine Weile dauern, bis ich mich daran gewöhnt habe.
derwo hat geschrieben: 19. Nov 2022, 23:16 Ich bin inzwischen ziemlich überzeugt, daß McCabe-Thiele (also das Reinrechnen des Reflux) nicht sehr genau ist
Diese Aussage heben wir uns noch eine Weile auf.
derwo hat geschrieben: 19. Nov 2022, 23:16 Iterativ war 1925, als die McCabe-Thiele-Methode veröffentlicht wurde, noch nicht machbar. Dafür braucht es einen Computer.
Damals wurde zu Fuss iteriert, man hatte Zeit dazu.
derwo hat geschrieben: 19. Nov 2022, 23:16 mit folgenden Eigenschaften:
- alle gew% g/min und °C sind eingetragen - g/s wäre einfacher, aber mit 60 multiplizieren geht noch
- alle Summen gehen auf. Also was von jeder Platte weggeht und dazukommt, ist gleich - ungenaue Formulierung
- was die Destille als Produkt verlässt plus der Rückfluss in den Kessel, entspricht der Dampfentwicklung aus dem Kessel - ist gleich f(Leistung[W])
- die Dampfalkoholstärken entsprechen den Siedediagrammdaten bezüglich der Platte unter dem Dampf - - unverständliche Formulierung
- Die Flüssigkeit auf der Platte hat dieselbe Alkoholstärke wie der Rückfluss von der Platte herunter- einverstanden
- Die Dampfmengen entsprechen überall den 2590Watt - ...
... wenn ich mit 2590W heize, dann gibt es eine bestimmte Menge Dampf, die aufsteigt und verschwindet (isobar). Wenn im stationären Gleichewicht der Kolonne mit Reflux etwas zurück kommt, dann ist es kälter als die Flüssigkeit. Es muss Leistung hinzugefügt werden, um weiter die gleiche Menge Dampf mit 2590 W zu erzeugen. Also kann es so nicht stimmen.
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derwo
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Re: Alkoholstärken, Massenströme und Temperaturen in Refluxkolonnen

Beitrag von derwo »

Ich weiß selber, daß es etwas steil ist, die McCabe-Thiele-Methode zu kritisieren.
Iterieren war händisch möglich. Aber Methoden, welche ohne Iterieren auskommen, wurden natürlich bevorzugt, anders als heute. Eine einfache geometrische Rechnung am Zeichenbrett war damals sehr attraktiv.

Was meinst du mit "ungenaue Formulierung"? Verstehst du es nicht? Oder meinst du, andere verstehen es nicht?

und "unverständlich":
die Dampfalkoholstärken entsprechen den Siedediagrammdaten bezüglich der Platte unter dem Dampf
Besser aber länger ausgedrückt:
die Dampfalkoholstärken entsprechen den Siedediagrammdaten bezüglich der Alkoholstärke in der Flüssigkeit der Platte unter dem Dampf.

Mit "stationärer Zustand" meinst du 100% Reflux oder meinst du was anderes?

Wenn der etwas kältere Rückfluss auf die nächstuntere Platte oder in den Kessel fließt, dann hat er diese Kälte, weil er vorher Energie abgegeben hat (abgeben musste). Beim Kondensieren wurde er auch abgekühlt. Oder -theoretisch richtiger- kurz davor. Diese Energie ist dann dort gelandet, wo er kondensiert ist. Dort verursacht diese Energie Verdampfung. Die Energie geht nicht verloren. Entweder sie landet am Ende oben im Refluxkühler oder sie landet in der Umgebung. Umgebungsverluste haben wir ausgeschlossen.
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derwo
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Re: Alkoholstärken, Massenströme und Temperaturen in Refluxkolonnen

Beitrag von derwo »

So, Hügelwilli hat die Zahlen iterativ berechnet und ich habe die Werte in das Bild eingetragen:
Kolonne90%R2.png
Und nun rechne ich nach:
Das Endergebnis soll sein, daß 15.6g 89.2% abdestilliert werden. Im Kessel haben wir einen Dampfstrom von 100g 50% (berechnet aus den 9.2% im Kessel und den 2590W). Angenommen das ist richtig, müsste ich das nachrechnen können, ohne auf Fehler zu stoßen:
  1. Wenn 15.6g 89.2% 10% Produktentnahme sind, ist die Gesamtdampfentwicklung über der obersten Platte das Zehnfache, also 156g 89.2%. Und der Reflux auf die oberste Platte 156-15.6=140g 89.2%. Passt.
  2. Wenn oben 15.6g 89.2% entnommen werden und unten 100g 50% reinkommen müssen 84.6g 42.8% in den Kessel zurückfließen, da 100g 50% - 15.6g 89.2% = 84.4g 42.8%. Passt fast, im Bild stehen 84.6g. Rundungsfehler?
  3. Wenn der Reflux 42.8% hat, hat auch der Platteninhalt 42.8% und somit ist der Alkoholgehalt des Dampfes darüber laut Siedediagramm 75.3% und dessen Menge laut 2590W 130g. Passt.
  4. Damit sich der Inhalt auf der ersten Platte nicht ändert, müssen sich die Eingänge und Ausgänge aufheben. Die Ausgänge sind 84.6g 42.8% + 130g 75.3% = 215g 70.1%. Die Eingänge sind 100g 50gew% und der Reflux von der zweiten Platte, den wir somit berechnen können: 215 70.1% - 100g 50% = 115g 73.4%. Passt.
  5. Wenn der Reflux 73.4% hat, hat auch der Platteninhalt 73.4% und somit ist der Alkoholgehalt des Dampfes darüber laut Siedediagramm 83.1% und dessen Menge laut 2590W 143g. Passt fast, im Bild stehen 83.2%. Rundungsfehler?
  6. Damit sich der Inhalt auf der zweiten Platte nicht ändert, müssen sich die Eingänge und Ausgänge aufheben. Die Ausgänge sind
    115g 73.4% + 143g 83.2% = 258g 78.8%. Die Eingänge sind 130g 75.3gew% und der Reflux von der zweiten Platte, den wir somit berechnen können: 258 78.8% - 130g 75.3% = 128g 82.4%. Passt.
  7. Wenn der Reflux 82.4% hat, hat auch der Platteninhalt 82.4% und somit ist der Alkoholgehalt des Dampfes darüber laut Siedediagramm 86.9% und dessen Menge laut 2590W 151g. Passt.
  8. Damit sich der Inhalt auf der dritten Platte nicht ändert, müssen sich die Eingänge und Ausgänge aufheben. Die Ausgänge sind
    128g 82.4% + 151g 86.9% = 279g 84.8%. Die Eingänge sind 143g 83.2gew% und der Reflux von der zweiten Platte, den wir somit berechnen können: 279 84.8% - 143g 83.2% = 136g 86.55%. Passt fast, im Bild steht 135g 86.7%. Rundungsfehler?
  9. Wenn der Reflux 86.7% hat, hat auch der Platteninhalt 86.7% und somit ist der Alkoholgehalt des Dampfes darüber laut Siedediagramm 89.2% und dessen Menge laut 2590W 156g. Passt.
  10. Nun haben wir also die 89.2% erreicht, die Produktalkoholstärke. Außerdem sind 10% von den 156g die 15.6g Produktmenge. Der Rest fließt zurück, also 156 - 15.6 = 140g 89.2%.
  11. Damit sich der Inhalt auf der vierten Platte nicht ändert, müssen sich die Eingänge und Ausgänge aufheben. Die Ausgänge sind
    135g 86.7% + 156g 89.2% = 291g 91.8%. Die Eingänge sind 151g 86.9% + 140g 89.2% = 291g 91.8%. Passt.
Also wenn die Regeln gelten, von denen ich meine, daß sie gelten, ist das erstens richtig und zweitens die einzige richtige Lösung.

Der Kolonnensimulator, also McCabe-Thiele, berechnet übrigens 89.3% Produktstärke. Also nur unwesentlich mehr. Es wäre besser gewesen, höhere % Reflux zu berechnen. Erst dann kommen eventuelle Ungenauigkeiten gut zum Vorschein. Das kommt morgen.