Siedediagrammmessungen

Praxis und Theorie der Destillation. Sowohl Fragen zu und Berichte von Destillationen als auch theoretische Erklärungen und Überlegungen
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derwo
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Siedediagrammmessungen

Beitrag von derwo »

Ich habe vor einiger Zeit mal eine komplette Potstill-Destillation mit Dampfthermometer, Gläschen, Waage und Pyknometer und Refraktometer durchgemessen und mit der Hilfe unserer Rechner durchgerechnet.

Die Ziele waren:
- mal schauen, ob die Rechnung aufgeht. Also ob die Summe der Gläschen und des Kesselinhalts nach der Destillation dem Destilleninhalt vor der Destillation entspricht. Wenn nicht, ist das Experiment natürlich mehr oder weniger gescheitert.
- Vergleich mit den Siedediagrammdaten unserer Rechner.
- Vergleich Refraktometer und Pyknometer.

Es war der Feinbrand meines Wandelröschengeists.
Es waren anfangs laut Pyknometer 17.6vol% im Kessel. Deswegen kann man bei dieser Destillation natürlich nur einen kleinen Teil des Siedediagramms durchmessen. Ich habe einzelne Gläschen durchgemessen und den Inhalt jedesmal vom ursprünglichen Destilleninhalt abgezogen, um dann bei dem nächsten Gläschen ebenfalls den aktuellen Alkoholghalt im Kessel zu wissen, ohne ihn messen zu müssen. Wenn man das oft hintereinander macht, kann es natürlich sein, daß sich Fehler aufsummieren und die Ergebnisse immer unplausibler werden. Ich nehme es voraus: Es ist nicht passiert. Die Rechnung ging sehr gut auf. Nach Rechnung mit den Pyknometermesswerten müsste die Schlempe 0.95vol% Alkohol gehabt haben, gemessen habe ich 0.81vol%. Das ist fast das gleiche. Dagegen nach Rechnung mit den Refraktometermesswerten hätte am Ende 1.53vol% im Kessel sein müssen und gemessen habe ich nur 0.58vol%. Das ist ein deutlicher Hinweis, daß die Refraktometermessungen deutlich ungenauer waren.

Hier habe ich eine Datei mit den Messwerten und Berechnungen:
Wandelröschen-Fb.ods
(29.85 KiB) 145-mal heruntergeladen
Wer Fragen dazu hat, kann sie mir gerne stellen. Daß ich große und kleine Gläser abgewechselt habe, liegt übrigens daran, daß ich befürchtet habe, daß ich nur kleine Fraktionen verwenden kann. Also ich hatte ursprünglich geplant, nur jede zweite Fraktion zu verwenden.
Unter den Daten ist noch ein Diagramm, welches den Unterschied der Refraktometer- und Pyknometermessungen veranschaulicht.


Und Hügelwilli hat die Daten mal auf Normaldruck 1013.25hPa umgerechnet und in das bestehende Siedediagramm eingetragen:
Siedediagramm derwo.png
Grau sind unsere bestehenden Kurven und die Messwerte, auf denen sie beruhen, blau meine Pyknometerwerte, rot einige meiner Refraktometerwerte. Diese Kurven sind hier genauer erklärt: Unsere Siedediagrammdaten

Man sieht, daß die Refraktometerdaten eigentlich besser passen als die Pyknometerdaten. Da das Aufsummieren bei den Refraktometerdaten aber nicht klappt, ist das aber belanglos, von Interesse sind nur die blauen Pyknometerdaten. Und diese zeigen doch recht große Unterschiede zu den Daten unserer Rechner.

Ich werde im September irgendwann mal eine ähnliche Destillation mit wesentlich höherer Alkoholstärke im Kessel machen. Mal schauen, wie es in anderen Bereichen des Siedediagramms ausschaut und ob ich dann, wenn der Alkoholgehalt im Kessel gesunken ist, wieder auf ähnliche Werte komme, also ob die Daten der beiden Destillationen zusammen logische Kurven bilden.
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derwo
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Re: Siedediagrammmessungen

Beitrag von derwo »

Ich habe eine zweite Messreihe gemacht. Hügelwilli hat das Siedediagramm mit den (roten) Werten erweitert:
64.5vol%.png
6.05 lt 64.5vol% waren am Anfang im 10l-Kessel. Am Ende war nur noch gut 1.5lt im Kessel. Da die vol%-Werte im Kessel nicht gemessen sondern durch Subtraktion der einzelne Gläschen vom anfänglichen Kesselinhalt berechnet sind, können sich im Lauf der Destillation (also von rechts nach links im Siedediagramm) kleine Fehler aufhäufen. Daher traue ich an den Stellen, wo sich die beiden Messreihen treffen und überschneiden, eher den alten (blauen) Werten.
Bei den ersten Werten, also jeweils ganz rechts, könnte etwas Rektifikation das Ergebnis verfälscht haben.

Ich werde noch eine dritte sehr hochprozentige Messreihe machen und dann mal schauen. Wahrscheinlich kommen dann eh ein paar Brände, bei denen ich im unteren Bereich nochmal gut messen kann.
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derwo
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Re: Siedediagrammmessungen

Beitrag von derwo »

Ich habe eine dritte Messreihe gemacht. Es ist irgendwie zu einem Herzensprojekt geworden. Hier mit den neuen Ergebnissen:
Screenshot (26).png
Diesmal waren 88.3vol% im Kessel.
Ich habe noch nie so hohe vol% im Kessel gehabt. Dabei bekommt man leider nur einen kleinen Teil des Siedediagramms abgedeckt, da ja der Alkoholgehalt kaum sinkt während der Destillation. Das bedeutet, ich werde noch mehr Destillationen machen, um einen guten Überblick zu bekommen.
Die gemessenen Dampftemperaturen liegen in dem Bereich immerhin so 0.2°C unter denen unserer Rechnerdaten. So weit rechts am Ende des Diagramms hätte ich mir erwartet, daß es besser zu den Daten passt. Das ist doch etwas überraschend.
Mal sehen, was die nächsten Messungen zeigen.
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derwo
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Re: Siedediagrammmessungen

Beitrag von derwo »

Und in lila ein paar weitere Daten:
Screenshot (29).png
Diesmal waren anfangs knapp 81vol% im Kessel.
Auch hier bei dieser Messreihe ist der erste (rechteste) Wert von der Temperatur her etwas niedrig. Am Anfang der Destillation dauert es wohl länger als gedacht, bis die wirklichen Endtemperaturen erreicht werden. Entweder ist halt noch nicht alles ganz aufgeheizt oder es ist noch Luft im Dampfweg.
Sonst passt es sehr gut zwischen die roten und grünen Messwerte.
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derwo
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Re: Siedediagrammmessungen

Beitrag von derwo »

Nun habe ich mal knapp 94vol% im Kessel gehabt. Hier die rosanen Werte ganz rechts:
Screenshot (44).png
Bei den beiden rechtesten Werte ist wohl noch Luft im Dampf und deswegen die Temperatur so tief. Dann aber weiter links passen die Werte gut zu den grünen Werten. Insgesamt sind im hohen Prozentbereich meine Temperaturen niedriger als die der Rechnerdaten. Wenn meine Werte stimmen und trotzdem die Temperatur des Azeotrops da liegt, wo die Rechnerdaten (und auch andere Quellen) es behaupten, bedeutet das, daß die Temperaturen im hochprozentigen Bereich näher beinander sind, und damit also wir in diesem hohen Bereich von der Temperatur nur sehr ungenau auf die vol% schließen können.