Haben Dampf und Reflux die gleiche Temperatur?

Praxis und Theorie der Destillation. Sowohl Fragen zu und Berichte von Destillationen als auch theoretische Erklärungen und Überlegungen
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derwo
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Haben Dampf und Reflux die gleiche Temperatur?

Beitrag von derwo »

Ich habe die ersten neun Beiträge dieses Themas von einem anderen Thema abgetrennt und damit dieses neue Thema gestartet. Ursprünglich ging es um die Refluxdestille von Alk52, welche die Möglichkeit bietet, an verschiedenen Punkten der Kolonne die Temperatur zu messen.
Hügelwilli


Alk52,
mir ist heute folgender Gedanke gekommen, der deine Temperaturmessungen in der Kolonne betrifft. Ich glaube, wir haben das noch nicht geklärt:

Reflux mit zB 80vol% ist ja kälter als Dampf mit 80vol%.
Für die, die das nicht wissen, erkläre ich es kurz:
Laut Siedediagram siedet 10vol% bei 92.4°C und der Dampf hat 54.9vol%.
Der Siedepunkt von 54.9vol% ist aber bei 82.2°C.
Der Siedepunkt ist auch der Taupunkt.
Also muss der Refluxkühler den 92.4°C heißen Dampf zuerst auf 82.2°C herunterkühlen, bis er kondensiert.
Dann hat der Reflux also 82.2°C und der ihm entgegenkommende Dampf 92.4°C.
Und nur deswegen funktioniert Rektifikation: Gäbe es keinen Temperaturunterschied, würde keine Redestillation stattfinden.

Dein Thermometer in der Mitte der Kolonne ist aber nicht vom Reflux abgeschirmt, oder?
Dann kannst du von der Temperatur nicht auf den Alkoholgehalt schließen. Denn es ist eine Mischung aus Reflux und Dampf, von der du die Temperatur misst.
Das betrifft dann natürlich leider viele Messungen und viele Beiträge hier.
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azeotrop
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Re: Haben Dampf und Reflux die gleiche Temperatur?

Beitrag von azeotrop »

derwo

Die Idee mit den unterschiedlichen Temperaturen widerspricht (scheinbar oder tatsächlich) den Ausführungen ab S.108 The compleat destiller "Supercooling and Column Stability".
Die Sache scheint mir wichtig zu sein und wir sollten das diskutieren.

Das Problem mit Dampftemperatursensoren die mit Reflux betropft werden kann ich aber aus eigener Erfahrung mit meiner Boka bestätigen.
Ich hatte schwankende und leicht abweichende Temperaturanzeigen beobachtet. Das war weg nachdem ich den Fühler entsprechend abgedeckt hatte.
Die genaue Theorie dahinter ist mir aber unklar.
Es grüßt Azeotrop
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derwo
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Re: Haben Dampf und Reflux die gleiche Temperatur?

Beitrag von derwo »

Ich hatte mal eine Refluxdestille, bei der der Reflux teilweise auf das Thermometer tropfte. Die gemessenen Temperaturen waren dadurch niedriger als sie sein sollten. Der Effekt war übrigens größer, je weiter die Destillation fortgeschritten war. Also je weniger Produkt ich abgezogen hatte, um die % oben zu halten, desto "zu niedrig" war die Temperaturanzeige. Es ging dabei nicht um Neutralalkoholherstellung, sondern um bei Aromabränden eine bestimmte Temperatur zu halten. Die vol% waren niedriger als gedacht (also niedriger als die niedrige Temperatur suggerierte) und vor allem sind die vol% mit der Zeit trotz gleichbleibender Temperatur gesunken. Ich habe das damals darauf geschoben, daß Reflux unter seinen Taupunkt gekühlt wird, und war der Meinung, daß das nicht ganz zu vermeiden ist.

In The Compleat Distiller ab S.108 geht es um Unterkühlung des Reflux ("supercooling") und den Mythos, daß man eine Refluxdestille nicht mit unterkühltem Reflux, also zu viel Wasser, betreiben soll. Dort wird mathematisch bewiesen (ich habe den Beweis nicht verstanden, habe aber auch nicht viel Zeit darauf verwendet), daß eine Unterkühlung entgegen diesem Mythos keinen Unterschied macht. Ich habe übrigens auch versucht, mit mehr oder weniger Kühlwasser Unterschiede bei meiner LM zu produzieren: Es ist mir nicht gelungen. Also meine praktische Erfahrung stimmt mit The Compleat Distiller überein.

Mir aber geht es hier um etwas anderes. Der Reflux in der Mitte der Kolonne ist nicht unterkühlt, sondern hat genau die physikalisch vorgegebene Temperatur, welche niedriger ist als die vom Dampf. Wäre der Refluxkühler oben stark aufgedreht (also daß er wesentlich mehr als den gesamten Dampf zurückwerfen könnte), würde entweder nicht die gesamte Kühlerlänge verwendet, dann gäbe es also keine Unterkühlung, oder eben wenn der Reflux tatsächlich unterkühlt ist, würde seine "Kühlkraft" eine theor. Platte weiter unten in zusätzlichen Reflux umgesetzt werden.
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azeotrop
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Re: Haben Dampf und Reflux die gleiche Temperatur?

Beitrag von azeotrop »

derwo
Ich interpretiere den Compleate Distiller anders als du. Aber ich denke das bringt uns nicht weiter.
Jemand sollte das Verhalten sauber messtechnisch erfassen. Dann kann man versuchen Begründungen zu finden.
Am schönsten wäre zwei Sensoren auf gleicher Höhe, einer gegen Reflux geschützt, der andere von Reflux umspült.
Dann sollte man ohne Reflux nachmessen ob beide Sensoren im Dampf den gleichen Wert anzeigen.
Danach mit einem bestimmten, konstanten Reflux die Temperaturen vergleichen.
Fakten sind leicht zu beschaffen.
Da ich keine CM habe, kann ich hier nicht selbst messen.
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derwo
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Re: Haben Dampf und Reflux die gleiche Temperatur?

Beitrag von derwo »

azeotrop hat geschrieben: 20. Jan 2021, 09:49Ich interpretiere den Compleate Distiller anders als du. Aber ich denke das bringt uns nicht weiter.
Da steht es auch anders, stimmt:
The temperature of the reflux will be the same as the temperature of the vapor in the top of the column,
S.109

Ich schau mal, was andere Quellen sagen.
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derwo
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Re: Haben Dampf und Reflux die gleiche Temperatur?

Beitrag von derwo »

Ja, tut mir leid für das ganze off-topic. Ich habe nicht erwartet, daß es jetzt um fundamentale Sschen geht. Ich dachte, es bleibt bei den Temperaturmessungen von Alk52. Diese Beiträge werden wohl einen neuen Platz finden. Mir wäre am liebsten ein neues Thema mit dem Titel: "Welche Temperatur hat Reflux?"

Ich habe jetzt die entsprechenden Kapitel aus dem Handbook of Laboratory Distillation, aus Seperation Processes und aus Distillation Principles and Processes durchgelesen und finde keine Klarstellung. Nirgends ist eine Antwort zu finden, welche Temperatur der Reflux hat. Jedenfalls ich finde keine. Jedes dort abgebildete Siedediagramm wäre eine super Gelegenheit, das zu erklären, zumindest, wenn es sich so verhält, wie ich das denke. Aber jedes hört auf, nachdem die beiden Alkoholstärken und der Siedepunkt erklärt ist. Kein Kommentar zur Temperatur des Reflux.
Und mit google finde ich nur solche Sachen: https://en.wikipedia.org/wiki/Reflux Inside the column, the downflowing reflux liquid provides cooling and condensation of the upflowing vapors ...
Aber ein wikipedia-Artikel hat natürlich weniger Gewicht als 500-seitige Physikwälzer.
Aber anders kann es doch auch nicht sein. Also irgendwelche Temperaturunterschiede muss es doch geben, sonst gäbe es doch keinen Grund für erneutes Destillieren? Der Dampf steigt die Kolonne hinauf und wird kondensiert. Wenn er nun dieselbe Temperatur wie der Dampf hätte, würde er doch einfach wieder in den Kessel fließen?
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derwo
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Re: Haben Dampf und Reflux die gleiche Temperatur?

Beitrag von derwo »

Ich habe The Compleat Distiller noch weiter durchsucht.
S.24 beginnt die Erklärung des Siedediagramms. Bezüglich der Fig.2-3 steht da:
The top left dot shows that the boiling point of a solution containing X% methanol is TxºC. The vapor produced contains a higher percentage of methanol, because it has a higher vapor pressure than water (shown by the top right dot at TxºC) and this vapor will
condense at TyºC.

Der boiling point Tx°C und condense at Ty°C. Zwei verschiedene Temperaturen also.
The Compleat Distiller S.24 und S.108 widersprechen sich also.
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Alk52
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Re: Haben Dampf und Reflux die gleiche Temperatur?

Beitrag von Alk52 »

derwo hat geschrieben: 19. Jan 2021, 20:32 Dein Thermometer in der Mitte der Kolonne ist aber nicht vom Reflux abgeschirmt, oder?
Warum sollte es das sein. Ich messe in der SPP-Kolonne, dort hat sich ein Temperaturgleichgewicht eingestellt. Die von Dir und Azeotrop beobachteten Temperaturschwankungen durch tropfendes Kondensat am Thermometer kenne ich auch, aber die können nur im freien Raum zwischen dem RefluxKondesator und der Kolonnenpackung auftreten [*1] haben aber keinen Einfluß auf die Kolonne.

derwo hat geschrieben: 19. Jan 2021, 20:32 Dann kannst du von der Temperatur nicht auf den Alkoholgehalt schließen. Denn es ist eine Mischung aus Reflux und Dampf, von der du die Temperatur misst.
Doch das kann ich. Das Temperaturgleichgewicht an beliebiger Stelle (vgl. The Complete Destiller Seite 108 Fig. 8.8) entspricht einem Alkoholgehalt, genau wie bei einem echten Boden.
derwo hat geschrieben: 19. Jan 2021, 20:32 Das betrifft dann natürlich leider viele Messungen und viele Beiträge hier.
Das verstehe ich jetzt nicht.

[1*] Machen wir mal ein kleines Gedankenexperiment mit extrem unterkühltem Reflux. Dazu setzen wir einen klassischen Kühler (Liebig öä.) auf unsere Kolonne und jetzt müssen wir nur noch dafür sorgen, dass unser Dampf, der oben aus der Füllung austritt so umgeleitet wird, dass er von oben in der Kühler eintritt. Der Dampf wird kondensiert und auf dem Weg nach unten abgekühlt. Eine kleine Öffnung unten im Kühler läßt das "kalte" Destillat direkt auf die Kolonne tropfen. Durch das "kalte" Destillat im oberen Bereich der Füllung findet so bereits hier ein großer Teil der Kondensation statt und es gelangt weniger Dampf in den Kühler, also verringert sich die Menge des "kalten" Destillats...
nach kurzer Zeit wird sich in der Kolonne wieder ein (Fließ-) Gleichgewicht einstellen (Details siehe The Complete Destiller).
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derwo
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Re: Haben Dampf und Reflux die gleiche Temperatur?

Beitrag von derwo »

Alk52 hat geschrieben: 20. Jan 2021, 15:38 Ich messe in der SPP-Kolonne, dort hat sich ein Temperaturgleichgewicht eingestellt. Angenommen, du misst da 80°C. Dann sind das laut unserem Destillationsrechner 87.6vol%. Zumindest, wenn du Dampf misst. Wenn du aber den Reflux misst, bedeuten die 80°C 78.4vol%. In der Praxis eines nicht vom Reflux abgeschirmten Thermometers bedeuten 80°C also irgendwas zwischen 78.4 und 87.6vol%.

Das Temperaturgleichgewicht an beliebiger Stelle (vgl. The Complete Destiller Seite 108 101 Fig. 8.8) entspricht einem Alkoholgehalt, genau wie bei einem echten Boden. so it condenses on the cooler plate N because TN is lower than TN-1 steht da. Aber nirgends wird erklärt, warum die Temperatur niedriger ist. Die Temperatur bei einer Platte ist eine Mischtemperatur aus den beiden Temperaturen vom Dampf und vom Reflux, denke ich jedenfalls.
Und wie gesagt, auf S. 24 steht was von zwei verschiedenen Temperaturen.

derwo hat geschrieben: 19. Jan 2021, 20:32 Das betrifft dann natürlich leider viele Messungen und viele Beiträge hier.
Das verstehe ich jetzt nicht.
Für dich bedeuten 80°C 87.6vol%. Ich denke, es ist weniger. Irgendwo zwischen 78.4 und 87.6vol%. Das betrifft deine Ergebnisse, wie viel der Platten in der oberen Hälfte im Vergleich zur unteren Hälfte sind. Wenn es in der Mitte schon 87.6vol% sind, ist eine Platte mehr unterhalb der Mitte, als wenn es erst 78.4vol% sind. Ist natürlich nicht schlimm. Am Ende zählt ja nur, was oben ankommt. Aber wenn man sich wie du die Mühe macht, sich das genauer anzuschauen, ist es sinnvoll, hier einer eventuellen Ungenauigkeit nachzuforschen.

[1*] Machen wir mal ein kleines Gedankenexperiment mit extrem unterkühltem Reflux. Dazu setzen wir einen klassischen Kühler (Liebig öä.) auf unsere Kolonne und jetzt müssen wir nur noch dafür sorgen, dass unser Dampf, der oben aus der Füllung austritt so umgeleitet wird, dass er von oben in der Kühler eintritt. Der Dampf wird kondensiert und auf dem Weg nach unten abgekühlt. Eine kleine Öffnung unten im Kühler läßt das "kalte" Destillat direkt auf die Kolonne tropfen. Durch das "kalte" Destillat im oberen Bereich der Füllung findet so bereits hier ein großer Teil der Kondensation statt und es gelangt weniger Dampf in den Kühler, also verringert sich die Menge des "kalten" Destillats...
nach kurzer Zeit wird sich in der Kolonne wieder ein (Fließ-) Gleichgewicht einstellen (Details siehe The Complete Destiller). Das glaube ich auch. Aber es geht mir hier nicht um das Unterkühlen des Reflux, also um ein Kühlen unter seinen Siedepunkt, sondern das Problem betrifft auch das nur Kondensieren (bei seinem Siedepunkt).
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Alk52
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Re: Haben Dampf und Reflux die gleiche Temperatur?

Beitrag von Alk52 »

Unsere letzten Beiträge haben sich leider überschnitten. (Deine Posts 14:52-15:16 Uhr)

Wenn es ein eigenes Thema werden soll und wir uns über grundsätzliche Effekte bzw. Abläufe im Detail unterhalten wollen, dann krame ich gern meine "dicken Bücher" aus dem Regal...

"Welche Temperatur hat Reflux?" trifft es nicht, weil er jede Temperatur zwischen Kessel und TopDampf haben kann, je nachdem wo in der Kolonne gemessen wird.

"Refluxkolonne im Detail verstehen" wär mein Vorschlag.

In Deiner Antwort (17:31) fragst Du, ob in der Kolonne Dampf oder Reflux gemessen wird und welche vol% sich daraus ergeben.
Aus meiner Sicht ist an jeder Stelle in der Kolonne die Dampftemperatur und die Refluxtemperatur gleich, aber lokal haben wir minimale vol% Unterschiede.
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derwo
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Re: Haben Dampf und Reflux die gleiche Temperatur?

Beitrag von derwo »

Ich frage mich halt, wie Rektifikation ohne Temperaturunterschiede funktionieren soll. Warum sonst reagieren der Dampf und der Reflux miteinander?


Edit:
Vielleicht ist hier was:
Praxiswissen der chemischen Verfahrenstechnik.pdf
S.417, Abb. 15.5 und Text dazu.
Wird ein flüssiges Lösungsmittelgemisch isobar erhitzt, so beginnt es an der Siedelinie zu sieden. Wird ein gasförmiges Lösungsmittelgemisch isobar abgekühlt, so beginnt es an der Taulinie zu kondensieren.
An der Taulinie bezogen auf die Ausgangskonzentration oder auf die erreichte Konzentration???
Das bedeutet, die Temperaturen von Dampf und Reflux sind gleich? Was bedeutet "beginnt" zu sieden und "beginnt" zu kondensieren? Bedeutet das, während es siedet steigt die Temperatur weiter und während es kondensiert, sinkt die Temperatur weiter?

Nun aber:
Zwischen der Siedelinie und der Taulinie befindet sich ein Zweiphasengebiet mit Nassdampf. In diesem Gebiet zerfällt eine Mischung in gesättigten Dampf und siedend heiße Flüssigkeit. Die Konnoden verlaufen horizontal, da Dampf und Flüssigkeit im Gleichgewicht dieselben Temperaturen aufweisen.
Ja, Dampf und Flüssigkeit haben dieselbe Temperatur, das wissen wir. Aber der Reflux???
Dieses Zweiphasengebiet ist horizontal gemeint? Also von vol% zu vol% oder senkrecht von °C zu °C? Ich denke beides. Dann bedeutet das, daß es zwischen den kochenden zB 10vol% und dem Dampf mit 54.9vol% einen Übergang gibt, also ein Nassdampfgebiet an der Oberfläche der Maische, wo die vol% von 10 auf 54.9 steigen und daß es dann am Kühler ein Nassdampfgebiet gibt, wo die Temperatur von 92.4°C auf 82.2°C sinkt.
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Alk52
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Re: Haben Dampf und Reflux die gleiche Temperatur?

Beitrag von Alk52 »

Bevor wir uns morgen an die "dicken Bücher" machen ein Video.



Ich habe mit ca. 1.2 kW geheizt und ihr seht wie die Flüssigkeits-Front des Refluxes, der bereits auf dem Weg nach oben existiert, langsam mit ca. 0,5cm/s (gemessen) ansteigt.
Der Reflux fließt bereits zurück, während die Flüssigkeits-Front noch nach oben steigt.
Es gibt keinen Dampf der voreilt, das ist gut oben im leeren Bereich zu sehen. Hier beschlägt die Glaswand erst wenn die Flüssigkeits-Front angekommen ist.
Wenn der Reflux vom RK zurück kommt scheint es etwas mehr zu sein
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Alk52
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Messungen

Beitrag von Alk52 »

Noch ein Wort zum Video von gestern. Ich habe nur die obere Hälfte des Aufbaues im Video gezeigt, dabei ist ein entscheidender Effekt nicht zu sehen. Im unteren Sichtglas gibt es kein Durchschlagen einzelner Tropfen durch die SPPs, wie nach dem Erreichen der Front am RK , sondern es zeigt sich ein sehr gleichmäßiger Verlauf.
hc_353.jpg
Links ist der Aufbau und die Zeitpunkte auf Höhe der FlüssigkeitsFront dargestellt. Im Diagramm sind die entsprechenden Zeiten als gestrichelte senkrechte Linien eingezeichnet.
Nachdem die Front den RK erreicht hat steigt die Temperatur am Sensor weiter an, weil
- Die Temperatur am Sensor ist zu Beginn der Messung immer etwas geringer (Temperaturnachlauf)als die wirkliche Temperatur,
- von unten weiter Dampf nachkommt.
Nach ca 3 Minuten hat sich ein Fließgleichgewicht am Sensor eingestellt und ich habe dann gleich (weil es eh nur ein Rauhbrand ist) Produkt abgezogen.

Zusammenfassung:
Im SPP-Bereich direkt unter dem RK haben wir durchschlagende Tropfen, also hier haben Dampf und Reflux zu jedem Ort und Zeitpunkt minimal schwankende Tempaturen.
Etwas weiter unten in der Kolonne haben Dampf und Rückfluß im Fließgleichgewicht die gleiche Temperatur.

The Complete Destiller erklärt (Kap. Reflux, Seite 101) in wenigen Abätzen genau hier, warum es so ist.
.
hc_354.jpg
Ich versuche es mal mit einer kommentierter Übersetzung (Text aus Deepl).

Nachdem bei TN {eine beliebige "virtuelle Platte in der SPP-Kolonne"} gekocht wurde, tropft die überschüssige Flüssigkeit auf die untere Platte, "Platte N-1". Die Menge dieser Flüssigkeit ist L(N) und der Molanteil {Konzentration} dieser flüchtigen Komponente ist X(N).
Warum hier gekocht wird erklärt der letzte Absatz, lassen wir es erst mal so stehen...

Gleichzeitig erhält die Platte N eine Dampfmenge V(N-1) von der unteren Platte N-1 mit dem Mol
Anteil Y(N-1). Dieser Dampf befindet sich bei T(N-1) und kondensiert daher an der kühleren Platte N, da T(N) niedriger als T(N-1) ist.

Um das Bild zu vervollständigen, die Platte N erhält auch Flüssigkeit von der oberen Platte N+1. Die Menge ist L(N+1) und ihr Molanteil ist X(N+1). Diese Flüssigkeit mit der Temperatur T(N+1) beginnt zu sieden, wenn sie auf die Platte N
trifft, weil T(N+1) niedriger ist als T(N).
Jetzt schließt sich der Kreis und dieser Vorgang findet nicht nur in der Flüssigkeit eines echten Bodens statt, sonder (leicht verschmiert) auf jeder Höhe in der SPP-Packung.
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derwo
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Re: Haben Dampf und Reflux die gleiche Temperatur?

Beitrag von derwo »

Erstmal möchte ich sagen: schönes Video. Sehe gerne sowas.

Dann muss ich aber sagen, diese Stelle aus The Compleat Distiller haben wir ja oben schon erwähnt. Das ist nichts neues. Nur eine Wiederholung. Ich dachte, du kommst mit neuen dicken Büchern. Und die Erklärung dort ist unvollständig. Denn es wird nicht erklärt, warum TN+1 < TN < TN-1 . Es wird nur einfach festgestellt: "because TN is lower than TN-1". Und das ist ja offensichtlich, daß die Kolonne oben kälter ist als unten. Aber warum? Wenn wir 10vol% haben und das kocht bei 92.4°C und der Dampf hat dann ebenfalls 92.4°C und der Reflux auch 92.4°C, dann trifft Dampf auf Reflux mit einer einheitlichen Temperatur von 92.4°C. Und dann? Wann sinkt die Temperatur? Beim nächsten Verdampfen (warum auch immer was verdampft ohne Temperaturunterschiede)? Dann haben wir also ein Dampf-Reflux-Gemisch mit 92.4°C, dessen Dampf dann kühler ist? Warum ist der Dampf kühler als das, woraus er entsteht?
Ich finde, das Modell geht nicht auf.

Außerdem, wie gesagt, S.24:
Screenshot (23).png
Screenshot (22).png
Diese Erklärung mag in anderer Hinsicht unvollständig sein. Aber ganz klar sind hier die unterschiedlichen Temperaturen von Dampf und Reflux erklärt.

Ich bin aber selber nicht überzeugt von meiner Erklärung. Vielleicht ist es komplexer als sowohl deine als auch meine Erklärung.
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azeotrop
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Re: Haben Dampf und Reflux die gleiche Temperatur?

Beitrag von azeotrop »

Ich denke hier gehen die Themen zu stark durcheinander.
Eigentlich ging es anfangs um die Frage welche Temperatur das Kondensat an dem Refluxkondensator einer CM hat. Genauer gesagt, welche Temperatur es kurz unterhalb des Kondensators hat.
Es ist dann klar geworden dass Alk nicht diese Temperatur misst, sondern die Temperatur in der Mitte einer darunter liegenden Packung.
Gleichzeitig wird nun aber über Rektifikation in einer Rektifikationskolonne geredet.
Dabei wird es schwierig den roten Faden zu entdecken.

Stellen wir uns zuerst eine Potstill mit einem langen Steigrohr ohne Packung vor.
Wenn ein Flüssigkeitsgemisch im Kessel siedet hat die siedende Flüssigkeit und der entstehende Dampf die gleiche Temperatur. Der Dampf hat aber einen höheren Alkoholgehalt als die Flüssigkeit aus der er entstand, obwohl die Temperatur erstmal gleich ist.
Da er mit dem höheren Alkoholgehalt einen niedrigeren Taupunkt hat, wird er nicht wieder an dieser Stelle kondensieren.
Da durch das Sieden immer weiter Dampf entsteht, muss der vorhandene Dampf ja ausweichen. Das geht nur indem er im Rohr aufsteigt. Wenn es da oben eine etwas niedrigere Temperatur herrscht, wird der Dampf kondensieren. Das Kondensat hat exakt den gleichen hohen Alkoholgehalt wie der Dampf und damit den geringeren Siedepunkt. Die Flüssigkeit ist aber viel schwerer als der Dampf.
Wenn es niemand verhindert (Böden oder Packung) werden die Tropfen bis nach unten wieder in den Kessel fallen und das was aus dem Kessel raus verdampft ist liegt nun wieder drin. Es trat keine nutzbare Rektifikation auf.
Der aufsteigende Dampf erhitzt aber die herunterfallenden Tröpfchen und ein Teil verdampft noch auf dem Weg.
Dieser Dampf ist nun wieder höherprozentiger als der Dampf aus dem oben die Tröpfchen entstanden waren.
Sein Taupunkt ist nun noch höher und dieser Dampf wird noch etwas höher steigen biss er durch Wärmeverluste am Steigrohr wieder kondensiert und wieder den Weg nach unten antritt.
Das ist ein Anlaufzustand, der nur solange gilt bis das gesamte Steigrohr auf die gleiche Temperatur aufgeheizt ist.
Dann wird selbst der im Kessel entstandene Dampf bis nach ganz oben steigen und unterwegs nicht mehr kondensieren.
Damit fällt auch nichts mehr nach unten das ein weiteres Mal verdampfen könnte und der einmalig verdampfte Dampf tritt oben in den Produktkühler über. Im gesamten Steigrohr herrscht Kesseltemperatur. Das Kondensat hat den gleichen Alkoholgehalt wie der Dampf aus dem Kessel. Das ist die Potstill. Alles was darin während der Anlaufphase an Reflux entsteht folgt nicht den Regeln einer Rektifikationskolonne weil er nach unten fällt, statt auf Böden aufgefangen zu werden.

Ich würde aber gerne ohne Rektifikationskolonne die Gedanken weiterspinnen.
Stellen wir uns vor dass nun ein CM Kondensator auf halber Steigrohrhöhe eingebaut ist.
Stellen wir uns wiederum vor dass er noch kein Kühlwasser führt und der Anlaufvorgang abgeschlossen ist. Alle Teile haben die gleiche Temperatur. Oben tritt Dampf in den Produktkühler über, es gibt keinen Reflux.
Nun kühlen wir den CM Refluxkondensator gerade so weit dass sichtbar Reflux abtropft.
Der Dampf der den Kondensator berührt kondensiert ohne jede Temperaturänderung und tropft sofort ab.
Selbst wenn die tropfen währen der kurzen Berührungszeit minimal an Temperatur verloren haben sollten, werden die Tropfen im freien Fall fast verzögerungsfrei vom aufsteigenden Dampf wieder auf die vorherige Temperatur gebracht.
Diese Tropfen fallen trotzdem (im eingeschwungenen Zustand) wieder zurück in den Kessel.
Durch diesen Reflux tritt keine Erhöhung der Alkoholstärke ganz oben im Produktkühler auf. Es ist nach wie vor eine normale Potstill im Energieverschendungsbetrieb.

Die Sache ändert sich erst wenn im Rohr Böden oder Packung eingebaut sind.
Dann fallen die kondensierten Tropfen nicht mehr nach unten um im Kessel verdünnt zu werden sondern bleiben mit ihrem erhöhten Alkoholgehalt auf dem Boden stehen. Wenn die Flüssigkeit nun wieder verdampft, hat sie nochmehr Alkohol und kondensiert auf dem nächsten Boden wieder mit dieser hohen Stärke. Nächste Verdampfung wieder höherprozentig usw.
Die Funktion der Böden oder der Packung ist aber unabhängig von der Frage zu sehen mit welcher Temperatur die Flüssigkeit am CM Refluxkondensator abtropft. Es wird immer die Temperatur sein (oder minimal weniger) als der Dampf aus dem die Flüssigkeit entstand. Die Rektifikation wird (fast) ausschliesslich von den Böden erzeugt. Der Rest kommt aus der Dynamik eines unvollkommen isolierten Steigrohrs. Ohne Packung hat ein CM Kondensator kaum Einfluss, ausser auf den Energieverbrauch. Er erzeugt passiver Reflux. Anders ist es wenn der CM Reflux auf eine Packung oder Böden tropft.
Es grüßt Azeotrop
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Alk52
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Re: Haben Dampf und Reflux die gleiche Temperatur?

Beitrag von Alk52 »

Ich diskutiere gern über naturwissenschaftliche Erkenntnisse, also weiter... erst mal mit Wikipedia und Schritt für Schritt (damit wir die Trivialitäten später abhaken können)

Der Dampfdruck einer Flüssigkeitsmischung (Wasser und Alk) läßt sich aus den Dampfdrücken der einzelnen Komponenten (Raoultsches Gesetz) berechnen und ist abhängig von der Temperatur und der Konzentration der einzelnen Komponenten. Beim Übergang in die Dampfphase gelangen, wg. des geringeren Dampfdruckes von Alkohol gegenüber dem von Wasser, anteilig mehr Alk-Moleküle als Wassermoleküle in den Dampf, klar, dadurch haben wir im Dampf eine erhöhte Alk-Konzentration als in der siedenden Flüssigkeit.
.
hc_357.jpg
.
Bestimmen wir jetzt die Schichtdicke der Flüssigkeit auf den SPP.
Im Thema "???" habe ich gerechnet, wie groß die Oberfläche derr SPP für ca. 55cm ist. Daraus ergeben sich ungefähr 180 cm²/cm SPP-Höhe. Im Videoversuch ist die Geschwindigkeit, mit der die Oberfläche aufgeheizt und benetzt wird ca. 0,5cm/s, also benetzen wir ca. 90cm²/s.
Jetzt nehmen wir den Foren-Rechner und bestimmen die Destillatmenge, die bei zB. mit 1,2 kW bei 45 Vol% (Mein Videoversuch) in 1 Sekunde erzeugt wird, es sind ca. 44 ml/min, also ca. 44/60~ 0,75 ml/s. Dies Flüssigkeitsmenge verteilen wir auf unsere Fläche, so haben wir eine Schichtdicke von
0,75cm³/90cm²=> 0,008 cm=> 0,08mm=> 0,08 mm³/mm².
In diesem dünnen Flüssigkeitsfilm befinden sich je mm² ([urlhttps://de.wikipedia.org/wiki/Teilchendichte]Quelle WIkipedia[/url]) ca. 2,1x 1022 Molküle, also eine ganze Menge.

Die SPP-Packung ist (nach einer Weile) über die gesamte Höhe mit unvorstellbar vielen Molekülen [*1] im flüssigen Zustand benetzt. Eine Interaktion (Kondensieren oder (neu) Verdampfen) findet in diesem Flüssigkeitsfilm statt.

Jedes einzelne Molekül hat, je nach vorliegender Konzentration und Temperatur immer eine bestimmte Chance (Wahrscheinlichkeit) in den Dampf zu gelangen(verdampfen), das ist ein "analoger, kontinuierlicher" Vorgang bei der Destillation mit einer SPP-Kolonne.

Die Siedediagramme bzw. die daraus abgeleiteten ("digitalen") Destillationstreppen (S.24) gelten eigentlich nur für vollständig durchgeführte (Pot-Still) Destillationen.

{1*] Ich habe eine ungefähre Vorstellung von Molekülzahlen, die ich nie vergessen werden. Wenn man 1 Esslöffel (fiktiv markiertes) Wasser in den Ozean kippt und richtig gut umrührt, dann kann mann überall auf der Erde ans Meer gehen, einen Esslöffel Wasser entnehmen und hat ungefähr 1 (fiktiv markiertes) Wassermolekül in diesem Löffel.
Nichts ist ohne Grund.
geHeimBrenner
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Re: Haben Dampf und Reflux die gleiche Temperatur?

Beitrag von geHeimBrenner »

Mal ein ganz naiver Einwurf - Wenn der Dampf Temperatur X hat - müsste er kondensiert dann nicht ohnehin zwangsläufig Temperatur X-Y haben? Wenn auch das Kondensat Temperatur X hätte wäre es ja kein Kondensat sondern weiterhin Dampf. Oder bewegen wir uns hier theoretisch in einem so engen Bereich am Siede- und Taupunkt dass der Übergang tatsächlich in der hintersten Nachkommastelle stattfindet?
Mehr kann ich leider mit meinen Maturanten-Physikfähigkeiten hier nicht beitragen, das Thema ist allerdings extrem spannend!
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derwo
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Re: Haben Dampf und Reflux die gleiche Temperatur?

Beitrag von derwo »

azeotrop,

mir jedenfalls ging es um die Temperatur des Reflux irgendwo in der Packung. Nicht die Temperatur des vom Kühler herabtropfenden Reflux. Ich hatte den ersten Beitrag ja in Bezug auf die Temperaturmessungen von Alk52 in der Mitte der Kolonne geschrieben.

Ich habe jetzt ein richtig schlechtes Gewissen, wenn ich aus deinem langen Beitrag kleine Stellen rauspicke. Ich hoffe du nimmst mir das nicht übel.
Das Kondensat hat exakt den gleichen hohen Alkoholgehalt wie der Dampf und damit den geringeren Siedepunkt.
Also hat es eine niedrigere Temperatur. Sonst wäre es doch oberhalb seines Siedepunkts flüssig.
Der Dampf der den Kondensator berührt kondensiert ohne jede Temperaturänderung und tropft sofort ab.
Aber dann ist er doch oberhalb seines Siedepunkts flüssig?
Dann fallen die kondensierten Tropfen nicht mehr nach unten um im Kessel verdünnt zu werden sondern bleiben mit ihrem erhöhten Alkoholgehalt auf dem Boden stehen. Wenn die Flüssigkeit nun wieder verdampft, hat sie nochmehr Alkohol und kondensiert auf dem nächsten Boden wieder mit dieser hohen Stärke.
Aber warum verdampft die Flüssigkeit? Hat sie also doch eine andere Temperatur als der aufsteigende Dampf?
Die Rektifikation wird (fast) ausschliesslich von den Böden erzeugt.
Und welchen Grund gibt es für erneutes Verdampfen, wenn nicht Temperaturunterschiede?



Alk52,

die Berechnung der Schichtdicke ist zwar interessant, aber durch die Oberflächenspannung und dadurch, daß der Reflux sich Kanäle durch die Packung sucht, nicht wirklich aussagekräftig. Außerdem weiß ich noch nicht, wo du damit hinwillst in Bezug auf die Fragestellung. Aber gut, wir können den Umfang dieses Themas ja etwas erweitern.

Wie kommst du darauf, daß die Siedediagramme nicht für Refluxdestillationen gelten? Nur, weil bei Refluxdestillationen zB auch 3.5 Destillationen auftreten können und eine halbe Destillation nicht so darstellbar ist im Siedediagramm?



geHeimbrenner,

erreicht eine Flüssigkeit ihren Siedepunkt, ist sie immer noch flüssig. Erst bei weiter Zufuhr von Hitze beginnt sie zu verdampfen. Der Dampf hat dann die gleiche Temperatur wie die Flüssigkeit. Bei Reinstoffen wie zB Wasser ist der Rest dann auch klar: Wird der Dampf zb durch eine kalte Oberfläche abgekühlt, kondensiert er. Das Kondensat hat dann zuerst auch Siedepunkttemperatur. Meist kühlt es an der kalten Oberfläche aber weiter ab, da es nicht rechzeitig von der kalten Oberfläche abtropft.
Bei Stoffgemischen, wo sich das Mengenverhältnis beim Verdampfen ändert, ist das aber halt nicht so klar.
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azeotrop
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Re: Haben Dampf und Reflux die gleiche Temperatur?

Beitrag von azeotrop »

derwo

Das Rauspicken und isolierte Fragenstellen ist für dich natürlich einfacher. Für die Diskussion ist es aber nicht dienlich. Spätestens bei meiner Antwort wird alles nun völlig unleserlich und es ist kein Zusammenhang mehr erkennbar.
Es wäre sinnvoll wenn du den betreffenden Gesamtzusammenhang mit anderen Worten selbst formulierst und prüfst ob das eine andere Gesamtaussage ergibt. Dabei sollte man längere Textteile betrachten als halbe Sätze.

Ich habe aber beim Lesen den Eindruck gewonnen, dass ein Hauptdiskussionspunkt die Frage der Temperaturänderung beim Phasenübergang darstellt. Ich hole etwas weiter aus, damit es auch für Seiteneinsteiger verständlich bleibt.

Phasenübergang ist ja der Übergang von fest zu flüssig genauso wie von flüssig zu gasförmig und auch in der umgekehrten Richtung.
Temperatur ist einfach mechanische Schwingung und Bewegung der beteiligten Moleküle, also ein Bewegungszustand.
Der Antreiber für Temperaturänderungen und ggf. Phasenübergänge ist die hineingesteckte Wärmeenergie.
Man darf nicht glauben dass die Zufuhr oder Abgabe von Wärmeenergie zwangsläufig die Temperatur des betroffenen Stoffes ändert. Das kann sein, muss aber nicht.

Solange sich der Phasenzustand des Stoffes nicht ändert, wird jede Erhöhung oder Erniedrigung der Energiezufuhr die Bewegungsenergie der herumschwingenden oder herumrasenden Moleküle verändern. Da der Bewegungszustand als Temperatur gemessen werden kann, sehen wir eine Temperaturänderung. Wenn aber die Grenze zu einem Phasenübergang erreicht ist, passiert etwas besonderes.
Beispiel Sieden. Innerhalb der Flüssigkeit sind die Moleküle noch durch Kräfte aneinander gebunden. Die Moleküle können nicht weit weg, sondern schwingen wie verrückt um ihren Standort. Wenn ich die Energiezufuhr weiter erhöhe, reissen einzelne Moleküle aus dem Kräfteverbund der Flüssigkeit aus und können sich nun ungebunden als Gas (Dampf) frei bewegen. Ihre Bewegungsenergie ist aber unverändert geblieben. Vorher schwangen sie um ihre Position, nun fliegen sie gerade aus bis sie mit dem nächsten Molekül oder der Wandung kollidieren.
Die für den Phasenübergang hineingesteckte Energie geht komplett vollständig für das Aufbrechen der Bindung den Moleküle untereinander drauf. Es bleibt nichts übrig was die Bewegung der Moleküle anschubsen könnte, also bleibt die Temperatur gleich.
Erst wenn den frei gewordenen gasförmigen Molekülen wieder Energie zugeführt wird, erhöhen sie wieder ihre Geschwindigkeit und damit ihre Temperatur.

Während des Phasenübergangs wird die dafür notwendige Energie vollständig in die Änderung der molekularen Bindungskräfte gesteckt. Es bleibt schlicht nichts übrig für eine Temperaturänderung. Erst wenn Phasenzustandsänderung abgeschlossen ist, geht es weiter.
Das funktioniert identisch in umgekehrter Reihenfolge beim Kondensieren oder Gefrieren.

Bitte klammert vorläufig die Frage aus was genau passiert wenn die Hälfte noch als siedende Flüssigkeit vorliegt, und die Hälfte bereits verdampft ist. Die Antwort geht sehr ins Thema Wahrscheinlichkeit hinein und ist sehr kompliziert darzustellen.
Wenn ein gasförmiges Molekül mit etwas anderem zusammen stößt und Bewegungsenergie abgibt, wird seine Geschwindigkeit nicht mehr ausreichen sich von den Anziehungskräften der Flüssigkeit fernzuhalten und es wird wieder eingefangen. Es findet ein ununterbrochenes Verdampfen und Wiederkondensieren statt, bis alles verdampft ist.

Die Phasenübergangsgebiete von Stoffen sind bezüglich der Temperatur so genau und unabänderlich definiert, dass sie als Referenzpunkte für die Kalibrierung von Thermometern benutzt werden. Wenn es ein gleitender Temperaturübergang wäre, könnte man das nicht machen.
Ergänzung: Mit Stoffen meine ich im letzten Satz Reinstoffe. Zum Beispiel der tripelpunkt von Wasser. Bei Gemischen kann man das Mischungsverhältnis nicht so hochgenau herstellen, dass man es als Referenzpunkt nutzen kann.
Zuletzt geändert von azeotrop am 24. Jan 2021, 14:39, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Haben Dampf und Reflux die gleiche Temperatur?

Beitrag von derwo »

Beim Phasenübergang findet keine Temperaturänderung statt. Da sind wir uns eigentlich einig. Aber ob die Temperatur beim Verdampfen dieselbe ist wie beim Kondensieren, was meinst du darüber?
Wenn eine Flüssigkeit erwärmt wird, bewegen sich die Moleküle immer mehr hin und her und am Siedepunkt lösen sie ihre Verbindungen untereinander und fliegen dann frei herum.
Wenn Dampf abgekühlt wird, werden die Moleküle langsamer und irgendwann bauen sie (physikalische) Verbindungen zu anderen Molekülen auf. Ist dieses "irgendwann" der Siedepunkt?

Ein Stoffgemisch mit 54.9vol% siedet bei Normaldruck bei 82.2°C . Aber wenn diese Mischung ein Reflux ist (entstanden aus 92.4°C-heißem Dampf einer Flüssigkeit mit 10vol%), warum soll sie dann schon bei 92.4°C wieder kondensieren?
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Re: Haben Dampf und Reflux die gleiche Temperatur?

Beitrag von azeotrop »

Ok, ein Hindernis weggeräumt.

Die Verwendung des Wortes Reflux würde ich noch hinauszögern, weil es missverständlich verwendet werden kann.
In der Packung befindet sich im eingeschwungenen Zustand ein Gas/Flüssigkeitsgemisch das ich nicht als Reflux bezeichnen würde. Unter Reflux verstehe ich die Flüssigkeit die vom Refluxkondensator generiert wird und abtropft.
Da man das aber auch anders benennen kann versuche ich (noch) diesen Begriff zu umgehen.

Was ich geschrieben habe gilt für Reinstoffe und für Gemische die beim Phasenübergang ihre Zusammensetzung nicht verändern. Abgehakt.

Nun kommt die spezielle Situation bei der Mischung von Wasser und Ethanol.
Hier kommt zusätzlich das Problem dass sich die Flüssigkeitszusammensetzung beim Phasenübergang in Richtung Gas verändert.
Ein Gemisch mit xx% siedet bei aa°C und geht in Dampf über. Hätte der Dampf auch noch xx% könnte er auch gleich wieder kondensieren bei aa°C.
Aber wie wir wissen, hat der Dampf einen höheren Alkoholgehalt und weniger Wasser, sagen wir yy%.
Ein Gemisch mit den höheren yy% hat nun einen niedrigeren Siedepunkt. Nennen wir ihn mal bb°C.
Da sich bei Dampf beim Kondensieren aber seine Alkoholstärke nicht verändert, gilt für ihn eine neue Taupunkttemperatur die zu seinen yy% gehört. Die ist eben identisch mit der Siedetemperatur für yy%, nämlich bb°C.

Siedepunkt und Taupunkt für die gleiche Konzentration sind immer identisch.
Man muss aber bedenken dass ein Gemisch beim Verdampfen seine Konzentration erhöht, bei Kondensieren aber beibehält.
Der erstmals entstandene Dampf mit Konzentration yy% ist bei Temperatur aa°C entstanden, kann aber bei dieser Temperatur nicht mehr kondensieren weil sein Siedepunkt niedriger wurde (durch mehr Alk). Er kann erst kondensieren wenn er in Gefilde aufgestiegen ist wo die Temperatur bb°C herrscht. Dort liegt sein Taupunkt und Siedepunkt yy%.
Das Kondensat kann aber gleich wieder verdampfen, da sein Siedepunkt bei bb°C liegt.

Der neue Dampf hat aber nun wiederum eine höhere Konzentration zz%. Zu dieser neuen Konzentration gehört wieder ein neuer Siede/Taupunkt bei cc°C.
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Re: Haben Dampf und Reflux die gleiche Temperatur?

Beitrag von azeotrop »

Noch eine kurze Ergänzung.
derwo hat geschrieben: 23. Jan 2021, 10:46 Wenn eine Flüssigkeit erwärmt wird, bewegen sich die Moleküle immer mehr hin und her und am Siedepunkt lösen sie ihre Verbindungen untereinander und fliegen dann frei herum.
Wenn Dampf abgekühlt wird, werden die Moleküle langsamer und irgendwann bauen sie (physikalische) Verbindungen zu anderen Molekülen auf. Ist dieses "irgendwann" der Siedepunkt?
Du kannst die Temperatur von Dampf durch Energiezufuhr nur erhöhen wenn er sich in einem geschlossenen Gefäß befindet.
Dann steigt zusammen mit der Temperatur auch der Druck. Wenn du versuchst ihn zu kühlen, rücken mit einer Temperaturänderung die Moleküle enger zusammen. Das Volumen verringert sich. Es entsteht Unterdruck und der Dampf wird kühler.
Der Dampf ändert seine Temperatur nicht, solange die Konzentration und der Druck konstant bleibt.
Bei uns ist es ein offenes System und es herrscht (näherungsweise) überall der Umgebungsluftdruck.
Deshalb wird der Dampf durch die Energiezufuhr sein Volumen vergrößern und ausweichen und umgekehrt, statt seine Temperatur zu ändern.

Sogenannten überhitzten Dampf gibt es nur in geschlossenen Kreisläufen mit entsprechend erhöhtem Druck.
Den unterkühlten Dampf gibt es nur bei Unterdruck.
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Re: Haben Dampf und Reflux die gleiche Temperatur?

Beitrag von derwo »

Bei einer Plattenkolonne haben wir klar aufgeteilte Bereiche: Pro Platte einen flüssigen Bereich, wo Dampf durchblubbert, und einen Dampfbereich, wo Reflux durchtropft.
Und bei der Packungskolonne ist es das gleiche, nur näher beinander und die Bereiche wandern und verformen sich ständig.
Deswegen würde ich den Inhalt einer eingeschwungenen Packungskolonne nicht als Gas/Flüssigkeitsgemisch bezeichnen.
Aber das ist wahrscheinlich nur eine Frage der Bezeichnung.

Deine Erklärung mit xx%, aa°C usw mal in konkrete Zahlen:

Ein Gemisch mit 10% siedet bei 92.4°C und geht in Dampf über. Hätte der Dampf auch noch 10% könnte er auch gleich wieder kondensieren bei 92.4°C.
Aber wie wir wissen, hat der Dampf einen höheren Alkoholgehalt und weniger Wasser, und zwar 54.9%.
Ein Gemisch mit diesen 54.9% hat nun einen niedrigeren Siedepunkt. Und zwar 82.2°C.
Da sich bei Dampf beim Kondensieren aber seine Alkoholstärke nicht verändert, gilt für ihn eine neue Taupunkttemperatur die zu seinen 54.9% gehört. Die ist eben identisch mit der Siedetemperatur für 54.9%, nämlich 82.2°C.


Die Flüssigkeit mit 10% hat also 92.4°C, der Dampf 54.9% und 92.4°C, und der Reflux 54.9% und 82.2°C. Also ist der Reflux kälter als der Dampf. Ja oder nein?
Wenn ja, wurde der Dampf also abgekühlt von 92.4°C auf 82.2°C und dann kondensiert, oder?
Dampf mit 54.9% und 92.4°C ist doch überhitzt, da der Taupunkt bei 82.2°C liegt, oder?

Die zumindest für mich wichtige Grundfrage ist, was man mit einem in eine Packung gesteckten Thermometer denn misst.
Falls der Dampf und die Flüssigkeit dort verschiedene Temperaturen haben, misst man einen Mittelwert. Angenommen man misst 85°C. Welche vol% sind das dann? ZB Dampf mit 87°C (=71.6%) und Flüssigkeit mit 83°C (=46.1%)?
Oder falls der Dampf und die Flüssigkeit dieselbe Temperatur haben, zB 85°C, bedeutet das dann, daß an der Stelle Dampf mit 76.4% und Flüssigkeit mit 32.5vol% ist?
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Re: Haben Dampf und Reflux die gleiche Temperatur?

Beitrag von derwo »

Ein anderes Szenario kann ich mir auch vorstellen. Eben weil das Verdampfen bei gleichbleibender Temperatur, wie du ja auch gut erklärt hast, eine Einbahnstraße ist:

Die Flüssigkeit hat 10vol%. Bei 92.4°C existiert nun Flüssigkeit mit 10vol% und Dampf mit 54.9vol% gleichzeitig auf derselben Höhe. Der Dampf kann nicht kondensieren, da es dafür zu heiß ist, fliegt aber nach oben, denn es verdampft durch die Beheizung von unten immer mehr und drückt ihn nach oben. Sobald irgendwo kleinste Temperaturunterschiede auftreten, werden sie sofort durch Verdampfen oder Kondensation ausgeglichen.
In der Packungskolonne haben wir dann einen kontinuierlichen Temperaturabfall von unten nach oben. Also das hier ist ein Ausschnitt aus einer Packungskolonne mit der Temperatur und den vol% der Flüssigkeit und des Dampfes:
vol%(fl)°Cvol%(vap)
83.879.589.4
82.879.689.0
81.779.788.6
80.679.888.2
79.579.987.9
78.480.087.6
So stellst du dir das vor?
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Re: Haben Dampf und Reflux die gleiche Temperatur?

Beitrag von azeotrop »

derwo hat geschrieben: 23. Jan 2021, 17:32 Ein anderes Szenario kann ich mir auch vorstellen. Eben weil das Verdampfen bei gleichbleibender Temperatur, wie du ja auch gut erklärt hast, eine Einbahnstraße ist:

Die Flüssigkeit hat 10vol%. Bei 92.4°C existiert nun Flüssigkeit mit 10vol% und Dampf mit 54.9vol% gleichzeitig auf derselben Höhe. Der Dampf kann nicht kondensieren, da es dafür zu heiß ist, fliegt aber nach oben, denn es verdampft durch die Beheizung von unten immer mehr und drückt ihn nach oben. Sobald irgendwo kleinste Temperaturunterschiede auftreten, werden sie sofort durch Verdampfen oder Kondensation ausgeglichen.
In der Packungskolonne haben wir dann einen kontinuierlichen Temperaturabfall von unten nach oben. Also das hier ist ein Ausschnitt aus einer Packungskolonne mit der Temperatur und den vol% der Flüssigkeit und des Dampfes:
vol%(fl)°Cvol%(vap)
83.879.589.4
82.879.689.0
81.779.788.6
80.679.888.2
79.579.987.9
78.480.087.6
So stellst du dir das vor?
Ja, so stelle ich es mir gerade vor. Ich verwende im Kopf lieber einzelne Böden um den Überblick zu behalten. Ich weiss ja, dass die Packung diese Bödenzahl sozusagen gleitend abbildet. Aber wir haben nun beide den selben Blickwinkel.
Auf deinen vorigen Beitrag gehe ich jetzt nicht weiter ein, weil dein neuer das ja so darstellt wie auch ich es gemeint habe.

Auf einer bestimmten Höhe der Packung haben Flüssigkeit und Dampf die gleiche Temperatur, aber unterschiedliche Alkoholstärken.
Deshalb misst ein Temperatursensor richtig. Abgesehen von speziellen Effekten wie unterschiedlicher Wärmeübergangskoeffizient von Gas auf den Sensor gegenüber Flüssigkeit an den Sensor. Aber da die Bereiche in denen nur Gas, oder nur Flüssigkeit sind sehr klein sind gegenüber den Sensorabmessungen wird sich dieser Effekt vermutlich ausmitteln.
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